科维刚丨Hegel über Recht und Gerechtigkeit
科维刚(Jean⁃François Kervégan),巴黎第一大学教授、法国黑格尔哲学学会前主席,黑格尔《法哲学原理》法译本译者。
本文主要想解决两个问题:(1)为什么黑格尔在《法哲学原理》以及《哲学科学百科全书》中很少使用“正义”一词? (2)为什么黑格尔在《法哲学原理》中在“不法”的惩罚语境下探讨正义。针对第一个问题,作者以两个理由解释它。第一,黑格尔受到他所处时代关于法学概念的影响。在当时的时代中,与正义有密切关联的自然法理论已经衰弱,伴随着这一现象同时产生的是“自然法的实在化”,这一趋势始于法国《人权宣言》,直至康德与费希特将“法”与道德规范严格区分开。第二,黑格尔自身对近代自然法的看法比较复杂,体现在两个方面。第一方面又由三点组成:(1)就语言上来说,“自然法”一词中的“自然”具有歧义性。(2)黑格尔认为,“自然法或哲学的法与实在法相区别,但它们并不彼此相互对立”。(3)黑格尔反对康德与费希特版本的自然法,认为只有思辨哲学才能为实在法提供理性的内在规范。第二个方面是黑格尔并未借助古典自然法资源探讨法与正义之间的可能矛盾。黑格尔对于正义问题的关心与他的另一批判相联系,此批判的对象是启蒙法学家对“惩罚”问题的看法。为了解释这一点,就不得不涉及本文所要回答的第二个问题,即为什么黑格尔在《法哲学原理》中从对“不法”的惩罚这一视角探讨正义。
按照启蒙法学家(如 Cesare Beccaria, Ernst Ferdinand Klein,Anselm Feuerbach)的看法,惩罚的目的或是为了心理威慑,或是为了灵魂改造,或是为了保护社会。与这些观点相对照,黑格尔反对从心理学、道德科学及社会学的视角探讨惩罚,而是主张从“客观的”角度探讨它。因此,在他看来,对不法的惩罚之真正目的并非在于恢复某种特定的受到侵害的权利,相反倒是在于恢复在其普遍性之中的自在之法:抽象法;而这种自在之法的恢复体现了具有反作用力的暴力的象征性形象的正义。因为法是自在的,所以我们可以说,这里的正义也是自在的,就此它不以国家为前提。因此我们也可以说,在黑格尔那里只存在一种法,一种正义。不过这种正义在现代世界中的实现具有三个特征:第一,虽然在形式方面而言,它与复仇相似,都是对作为否定的不法的第二种否定,但是它不是一种报复性的正义,而是一种惩罚性的正义。此惩罚的实施者是公共权力机关。第二,此机关并不具有政治或国家的属性。因此黑格尔在市民社会中探讨司法。对于他来说,司法是社会事务。第三,正义的“永恒的实体性原则”体现在公共舆论之中,对它的理解应被视为法律体系的一种规范性的封闭条款,这一条款必然会被不停地修正,但是它却构成了反对不法的一种具有弹性的限制。
本文摘要作者为德国柏林洪堡大学哲学博士、华东政法大学青年教师张大卫,原载于《伦理学术6——黑格尔的正义论与后习俗伦理》第34-51页,本公众号推送时略去注释,各位读者朋友,若有引用之需,烦请核对原文。
《伦理学术6——黑格尔的正义论与后习俗伦理》
2019年春季号总第006卷
邓安庆 主编
上海教育出版社丨2019年6月
Hegel über Recht und Gerechtigkeit
In den Grundlinien der Philosophie des Rechts sowie in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ist das Vokabular der Gerechtigkeit ( gerecht / ungerecht,; Gerechtigkeit ) sparsam benutzt, am meisten in der Abteilung “Zwang und Verbrechen” des ersten Teils und in der Abteilung “Das Gericht” der Lehre der bürgerlichen Gesellschaft im dritten Teil,was übrigens völlig normal ist. Grob gesagt taucht das Problem der Gerechtigkeit anlässlich der Betrachtung der Formen des Unrechts auf,insbesondere wenn es sich um das Verbrechen und die Bestrafung der unrechtlichen Handlung durch die Justiz handelt. Daraus kann man zweierlei Folgen ziehen. Zuerst verleiht diese Sparsamkeit dem Vokabular der Gerechtigkeit eine emphatische Bedeutung: ein gutes Beispiel davon ist das § 99 der Grundlinien, wonach “die objektive Betrachtung der Gerechtigkeit [...] der erste und substantielle Gesichtspunkt bei dem Verbrechen ist”. Zweitens ist das Problem der Gerechtigkeit mit der Frage der Wiederherstellung des verletzten Rechts eng verknüpft; mit anderen Worten wird die Gerechtigkeit vom Standpunkt der Bestrafung des Unrechts betrachtet. Eine wichtige Folge davon ist, dass Hegels Lehre des objektiven Geistes (oder des “Rechts” im erweiterten Sinne des Wortes) keine “theory of justice” im heutigen Sinn ist. Besser gesagt: die “Theorie der Gerechtigkeit” darf nicht als eine komplette Realisierung des Projekts einer Lehre des objektiven Geistes als einer vom Geist “hervorbringenden und hervorgebrachten Welt, in welcher die Freiheit als vorhandene Notwendigkeit ist”, betrachtet werden.
Versuchen wir nun, die Seltenheit der Parole “Gerechtigkeit” in Hegels “Philosophie des Rechts” (eines 80 ungewöhnlichen Ausdrucks) zu interpretieren. Eine allgemeine, auf der geistesgeschichtlichen Lage dieser Philosophie begründete Erklärung ist zum ersten Blick einleuchtend: das Ersetzen der Frage der Gerechtigkeit durch diejenige des Rechts ist ein Nebeneffekt des Untergangs der naturrechtlichen Problemstellung zugunsten eines rechtspositivistischen Paradigmas. In diesem Sinn nimmt Hegel an der mit der französischen Erklärung der Menschenrechte angefangenen “Positivierung des Naturrechts” teil, wonach die “unveräußerlichen, unverjährigen natürlichen Menschenrechte” die Grundlage irgendwelcher positiven Verfassungsordnung sind. Diese Positivierung des Rechts führt zur Ablehnung der von der herrschenden Naturrechtslehre bisher verkündeten Einwurzelung des Rechts in der Moral (bzw. Ethik), bis Kant und Fichte die Notwendigkeit der strikten Absonderung von rechtlichen und moralischen Normen feststellen: die Rechtslehre _ so Fichte _ ist kein “ Kapitel der Moral”, sondern eine “für sich bestehende Wissenschaft”.
Nach solchem Erklärungsmuster sind die Verknappung des Vokabulars der Gerechtigkeit und der Untergang der damit zusammenhängenden Vorstellungen mit dem doppelten Prozess der Autonomisierung des Rechts gegenüber der Moral und der Entstehung eines vollständigen, selbstbezogenen Rechtsnormensystems direkt verknüpft. Mit Max Webers Worten kann dieser Prozess als die Entstehung eines “revolutionär geschaffenenRechts” beschrieben werden,das die Idee eines Naturrechts oder einer rechtlichen Metanorm nach und nach unvorstellbar machte, obwohl die revolutionäre Thematik der Menschenrechte in naturrechtlicher Sprache ursprünglich formuliert worden ist. Man könnte ihn auch mit Carl Schmitt als einen übergang des
科维刚教授作品L’effectif et le rationnel:Hegel et L’esprit objectif(Vrin, 2008)书影
In der Tat ist Hegels Philosophie des Rechts in der seit 789 (Erklärung der Menschenrechte) und 804 (Code civil) dominierenden Rechtskonzeption eingerahmt, wonach das Rechtssystem keinen weiteren Geltungsgrund als seine eigene Vollständigkeit, keine weitere Bestätigung als seine Wirksamkeit in einer weitgehend autonom gewordenen Marktgesellschaft, und kein weiteres Legitimitätsprinzip als den Volkswillen bedarf. Die Sache ist jedoch nicht so einfach, und die vorige Beschreibung soll meines Erachtens aus zwei Hauptgründen verfeinert werden.
1/ Erster Grund: Hegels Verhältnis zur modernen Naturrechtslehre ist eigentlich viel komplizierter als das, was in der bisherigen Darstellung festgestellt war. Dies erklärt übrigens die Tatsache, dass ganz unterschiedliche, sogar entgegengesetzte Deutungen davon vorgeschlagen wurden. Joachim Ritter z. B. betont Hegels Ablehnung der individualistischen Voraussetzungen der modernen Naturrechtslehre, und versteht die Lehre von der Sittlichkeit als eine Rehabilitierung von Aristoteles‘ Begriff der Natur; umgekehrt versteht Manfred Riedel Hegels Kritik des modernen “empirischen” Naturrechts als eine Fortsetzung der Kant3 Um eine solche Diskrepanz zu vermeiden sollen meines Erachtens drei Ebenen in Hegels Kritik des Naturrechts unterschieden werden _ einer Kritik übrigens, die vom Naturrechtsaufsatz vom Jahre 80 bis zu den Berliner Vorlesungen sehr stabil bleibt.
a. Hegel betont zuerst diesprachliche Unangemessenheit der Naturrechtsvorstellungen. In der Heidelberger Naturrecht⁃Vorlesungsnachschrift vom Wintersemester 87/8 liest man z. B.:
Der Name des Naturrechts verdient aufgegeben zu werden und durch die Benennung “philosophische Rechtslehre” oder [...] Lehre von dem objektiven Geist ersetzt zu werden. Der Ausdruck “Natur” enthält die Zweideutigkeit, dass darunter: / das Wesen und der Begriff von etwas verstanden wird, und / die bewusstlose unmittelbare Natur als solche. Unter “Naturrecht” hat nun das Recht verstanden werden sollen, welches vermöge der unmittelbaren Natur gelte; es hängt damit die Fiktion von einem Naturzustand zusammen, in welchem das wahrhafte Recht existieren soll.
Was also bestreitet wird, ist in erster Linie die Benutzung einer Terminologie, die auf die “ Natürlichkeit ” irrtümlich hinweist, während es sich um die Vernünftigkeit des Rechts handelt. Es ist jedoch klar, dass das Irrtum nicht nur sprachlicher Natur ist; sonst brauchte man nur, das Wort “Natur” durch das Wort “Vernunft” zu ersetzen, um über eine richtige Fassung der Naturrechtslehre zu verfügen. Seit dem Naturrecht⁃Aufsatz ist sowieso die lexikale Kritik des Naturrechts mit einer methodologischen und philosophischen Kritik der begrifflichen Mitteln jener Theorie, in erster Linie der Begriffe des “Naturzustandes” und des “sozialen Vertrags”, verknüpft.
科维刚教授作品L’effectif et le rationnel:Hegel et L’esprit objectif英译本(The Actual and the Rational:Hegel and Objective Spirit, University Of Chicago Press,2018)书影
b. In anderer Hinsicht aber bestätigt Hegel die Grundintention der Naturrechtslehre, und zwar die normative Grundlage irgendwelcher rechtlichen und politischen Ordnung zu bestimmen. Die Anmerkung zum Paragraphen der Rechtsphilosophie erklärt es eindeutig, wenn sie als eine allgemein anerkannte Wahrheit die These darstellt, wonach “das Naturrecht oder das philosophische Recht vom positiven verschieden ist”, obwohl beide keineswegs “einander entgegengesetzt und widerstreitend” sind. Man braucht nur die vehemente Kritik der historischen Schule (Hugo, und darüber hinaus Savigny) zu beachten, die Hegel als ein Versuch der Herabsetzung der Rationalität zum Niveau der Positivität versteht, um sich davon zu überzeugen, dass er dem normativen Streben der Naturrechtslehre grundsätzlich treu bleibt.
c. Letzten Endes widerstreitet Hegel die Naturrechtslehre, insbesondere die von Kant und Fichte konzipierte raffinierte Fassung desselben, grundsätzlich deshalb, weil ihr Begriff der Rationalität unzulänglich ist, um ihr eigenes Programm zu realisieren. Weder eine instrumentelle, ausrechnende Rationalität à la Hobbes, noch eine abstrakt normative Rationalität à la Kant sind imstande, gemäß der naturrechtlichen Bestrebung das Recht und die Rechte normativ zu begründen. Man soll zur spekulativen Philosophie, noch bestimmter zur Logik greifen, um sich die rationale Norm des positiven Rechts als eine immanente Norm vorstellen zu können, und infolgedessen der unfruchtbaren Alternative von Historismus (wonach das Rationale sich mit dem geschichtlich Entstandenen identifiziert) und Normativismus (wonach die Rationalität sich durch den prinzipiellen Bruch mit dem Bestehenden definieren lässt) zu entgehen. Der in den Paragraphen , 4 und 9 der Einleitung zur Rechtsphilosophie dargestellte normative Rechtsbegriff erfordert einen epistemischen Bruch mit den verschiedenen, scheinbar entgegengesetzten Gestalten der Naturrechtslehre, des Historismus und des ordinären Rechtspositivismus.
2/ Ein zweiter Grund, mit der vorigen Darstellung des Verhältnisses von Recht und Gerechtigkeit Abstand zu nehmen, ist die Tatsache, dass Hegel ihre mögliche Diskrepanz zwar selten, aber umso bemerkenswert berücksichtigt, ohne jedoch zur klassischen naturrechtlichen Problemstellung zurückzugreifen. Wie gesagt wird zum Vokabular der Gerechtigkeit hauptsächlich in der Abteilung der Lehre des “abstrakten Rechts” gegriffen, die das Unrecht untersucht. Diese Berufung auf die Gerechtigkeit tritt anlässlich einer Kritik der herrschenden, auf die sittlichen Ansichten und rechtlichen Kategorien derAufklärung beruhenden Theorie der Strafe ein. Es scheint also, dass bei Hegel die uralte Frage der Natur und der Formen der justitia aus dem Problem der theoretischen Grundlagen der Strafe entsteht. Um den genauen Gehalt des Hegelschen Verständnisses der Gerechtigkeit müssen nun die von Cesare Beccaria erregte Debatte um “Straftaten und Strafen” und der Kampf der Aufklärung gegen die Barbarei der traditionellen Strafpraktiken aufs Spiel gesetzt werden.
科维刚教授作品L’effectif et le rationnel:Hegel et L’esprit objectif中译本(《现实与理性——黑格尔与客观精神》,张大卫 译,北京:华夏出版社,2018年)书影
Wie sieht das Verhältnis von Recht, Unrecht und Gerechtigkeit in der Stelle der Rechtsphilosophie aus, die die Formen der Rechtsverletzung und deren Aufhebung durch die Strafe untersucht? In der Lehre des abstrakten Rechts, die die Grundlagen einer vernünftigen Privatrechtsordnung darstellt, folgt die Darstellung des Unrechts derjenigen des Eigentums und des Vertrags. Da ich es in vorigen Arbeiten mehrmals festgestellt habe, darf ich hier voraussetzen, dass das Verhältnis zwischen Person und Sache den Kern der ganzen Sphäre des abstrakten Rechts als “Dasein der Freiheit im äußerlichen” ist. Hegel, der die klassische Einteilung des Rechts in Personen⁃, Sachen⁃und Obligationenrecht ( bzw. “ Recht zu Aktionen”) verwirft, behauptet, dass “das persönliche Recht wesentlich Sachenrecht ist, _ Sache im allgemeinen Sinne als das der Freiheit äußerliche, wozu auch mein Körper, mein Leben gehört”. Daher folgt, dass der Begriff des Eigentums, als der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses von der Person zur Sache, eine zentrale Rolle in der gesamten Darstellung (bzw. Rekonstruktion) des abstrakten Rechts spielt. In einer Randbemerkung seines eigenen Exemplars der Rechtsphilosophie schreibt Hegel: “ Eigentum ist das Durchgehende in a. [ = Erwerbung des Eigentums], b. [ = Vertrag], c; [ = Wiederherstellung des Rechts durch die Strafe] ” ;3 unter “ Eigentum ” sind hier die komplexen Formen der Aneignung und der Enteignung im breitesten rechtlichen Sinne verstanden, die den Gegenstand des “ abstrakten Rechts” ausmachen.
Diese zentrale Rolle des Eigentums in sehr extensiver Bedeutung ist die Voraussetzung der Betrachtung der verschiedenen Formen der Rechtsverletzung in der dritten Abteilung über “das Unrecht”. Wenn es sich darum handelt, die kleinste oder die schlimmste Rechtsverletzung durch Zwang aufzuheben (moralisches Wiedergutmachen kommt hier nicht in Frage), ist es immer eine Frage der Wiederaneignung von etwas (einem materiellen Gut, einer “moralischen Eigenschaft” oder, im schlimmsten Fall, einer Würde, sei es der Würde des Opfers oder des Täters selbst).
Die Rechtsverletzung, als “ eine Gewalt gegen das Dasein meiner Freiheit in einer äußerlichen Sache” verstanden,setzt im Allgemeinen das Recht zum “Schein” herab. Hegel setzt aber fort, dass “die Wahrheit dieses Scheins ist, dass er nichtig ist, und dass das Recht durch das Negieren dieser seiner Negation sich wieder herstellt”.5 Die drei sukzessiven Formen jener Negation des abstrakt⁃universellen, an sich seienden Rechts sind bekanntlich: a/ das “ unbefangene Unrecht ” , das heißt die verschiedenen Arten des Zivilrechtsstreits; b / der “ Betrug ” , der die ganze Reihe der untergeordneten Straftaten umfass, und worin die Rechtsverletzung absichtlich ist; c / die verschiedenen Formen der Gewalt⁃und Zwangstaten, die im “Verbrechen” gipfeln. über die (falls mögliche) Reparation durch Schadenersatz hinaus, die nur eine besondere Person angeht, besteht die Wiederherstellung des Rechts darin, dem freien Willen in seiner Allgemeinheit seine objektive Existenz zurückzugeben; in letzter Instanz handelt es sich darum, der Persönlichkeit, deren objektive Manifestation die Rechtsfähigkeit ist, nicht nur ihre Würde, sondern ihre Wirklichkeit zurückzugeben, welche das Allgemeine (das Recht) und das Besondere (mein Rech) in der Einzelheit einer Subjektivität vereinigt, die “in der Endlichkeit [s]ich als das Unendliche, Allgemeine und Freie weiß”. Was in der Rechtsverletzung und Rechtswiederherstellung auf dem Spiel steht, ist viel höher als das subjektive Recht einer bestimmten Person: es ist das Recht “an und für sich”, also die Gerechtigkeit.
科维刚教授作品Hegel, Carl Schmitt(Presses Universitaires de France - PUF, 2005)书影
Dieser Hinweis auf die Gerechtigkeit wird in der letzten, das Verbrechen untersuchende Unterabteilung der Analyse des “Unrechts” mit Nachdruck betont. Dieser Hinweis ist nämlich durch den Umstand verursacht, dass das Verbrechen keine bloße gewaltige Handlung gegen eine bestimmte Person, sondern eine Verletzung des Rechts an und für sich ist: das Verbrechen ist “der erste Zwang als Gewalt von dem Freien ausgeübt, welche das Dasein der Freiheit in seinem konkreten Sinne, das Recht als Recht verletzt”.3 Die Gerechtigkeit, die Nemesis, ist die symbolische Gestalt der rückwirkenden Gewalt, wodurch das Recht, das heißt die objektive Freiheit, in seiner Allgemeinheit wiederhergestellt wird, da sie gegen die Gewalt des Unrechts “eine jene erste aufhebende Gewalt” ausübt. Mit anderen Worten: das, was die Thematisierung der Gerechtigkeit verursacht, ist vor allem die nackte Erfahrung der ungerechten Handlung als einer Gewalttätigkeit nicht nur gegen eine Sache oder eine Person, sondern gegen das Recht als solches. Daraus entsteht die Aufgabe, eine juristische Theorie der Strafe als einer geregelten Gewalt aufzubauen, die das Recht durch seine anscheinende Negation wiederherstellt. Solche überlegungen über Gerechtigkeit und Strafe erfordern aber, dass der ursprünglich strikt juristische Rahmen des Problems erweitert wird.
Das Fehlen eines positiven Begriffs der Gerechtigkeit erklärt sich durch die klar ausgedrückte Option Hegels für eine nicht ontologische, sondern prozedurale Definition der Gerechtigkeit. In der Sphäre des strikten Rechts gibt es kein Wesen der Gerechtigkeit, das als Maßstab der gegensätzlichen Rechtsansprüche, sogar der positiven Rechtsnorm selbst gelten könnte. Wir haben ausschließlich mit Prozeduren der Aufhebung der Ungerechtigkeit, das heißt der rechtsbedrohenden Gewalt zu tun, welche durch kontingente Faktoren bedingtist. Die Existenz der unrechten Tat geht dem Wesen der Gerechtigkeit voraus. Es geht jedoch nicht darum, die Gerechtigkeit und die Faktizität und Zweckmäßigkeit der Strafe zu identifizieren. Im Gegenteil betont Hegel nachdrücklich die Objektivität, d. h. die Rationalität der Gerechtigkeit. Hegel schreibt am Rand des Paragraphen 99 seines Exemplars der Rechtsphilosophie:
Mitleiden, Besserung, Staatszweck; besondere Zwecke der Gesellschaft _ erbleichen gegen die Frage: was erfordert die Gerechtigkeit? [...] Gerechtigkeit geht unter, wie Wahrheit, wenn alles nur auf subjektiver Weise behandelt [wird].
Es gibt also eine Gerechtigkeit an sich; aber sie ist in den Praktiken der Beseitigung des bestehenden Unrechts als eines aufzuhebenden “ Scheins ” verkörpert. Wie schon in der Wissenschaft der Logik festgelegt ist das Wesen (hier die Gerechtigkeit) nichts anderes als der Prozess der Aufhebung des Scheins ( der Rechtsverletzung): es ist “ der als Schein gesetzte Schein”.
Daraus folgt der Versuch, anhand jener dynamischen Konzeption der Gerechtigkeit eine strikt juristische (d. h. nicht moralische, nicht soziale, nicht politische) Theorie der Strafe aufzubauen. Hegel fängt mit einer Kritik einer vom mäßigten Aufklärer Ernst Ferdinand Klein gegebenen Definition der Strafe an:
Unter Strafe im allgemeinsten Sinne versteht man das übel, welches auf die gesetzwidrige Handlung als eine solche folgt. Insofern ein solches übel zur Bewirkung künftiger gesetzmäßige Handlungen oder Unterlassungen gebraucht wird,ist eine Strafe in der gewöhnlichen Bedeutung vorhanden. Eine eigentliche Strafe setzt voraus, dass das übel mit der unerlaubten Handlung zu dem ebengedachten Zweck willkürlich sei verbunden worden.
Warum kritisiert Hegel diese Definition der Strafe, obwohl sie, wenigstens der Form nach, sehr ähnlich klingt wie diejenige, die Hegel in den vorigen Paragraphen dargestellt hat? Welcher Unterschied gibt es zwischen dem einem übel nachkommenden übel (Klein) und die Wiedergutmachung der Gewalt durch Gewalt (Hegel)? Er besteht, meiner Meinung nach, in der Benutzung seitens Klein ( das gilt auch für weitere aufgeklärte Juristen wie Anselm Feuerbach) eines aus der Moral stammenden Vokabulars und Argumentation, obzwar das Wort “übel” zum Wortschatz der Moralität nicht so eindeutig gehört als das Wort “Böse”. Die insbesondere gegen Feuerbachs These des Präventionscharakters der Strafe gerichtete Anmerkung zum Paragraph 99 zeigt eindeutig, dass für Hegel diese Vorstellung der Strafe als eines “Gegenübels” den Kern der Irrungen der Straftheorien der Aufklärung ist. In dieser Polemik geht es also um das Verhältnis von Recht und Moral (bzw. Ethik), die Hegel, wie schon Kant und Fichte, strikt unterscheiden will. Ich erlaube mir nun, die Anmerkung zum Paragraph 99 ausführlich zu zitieren:
Die Theorie der Strafe ist eine der Materien, die in der positiven Rechtswissenschaft neuerer Zeit am schlechtesten weggekommen sind, weil in dieser Theorie der Verstand nicht ausreicht, sondern es wesentlich auf den Begriff ankommt. _ Wenn das Verbrechen und dessen Aufhebung, als welche sich weiterhin als Strafe bestimmt, nur als ein übel überhaupt betrachtet wird, so kann man es freilich als unvernünftig ansehen, ein übel bloß deswegen zu wollen, weil schon ein anderes übel vorhanden ist [...]. Dieser oberflächliche Charakter eines übels wird in den verschiedenen Theorien über die Strafe, der Verhütungs⁃, Abschreckungs⁃,Androhungs⁃, Besserungs⁃usw. Theorie, als das Erste vorausgesetzt,und was dagegen herauskommen soll, ist ebenso oberflächlich als ein Gutes bestimmt. Es ist aber weder bloß um ein übel noch um dies oder jenes Gute zu tun, sondern es handelt sich bestimmt um Unrecht und um Gerechtigkeit. Durch jene oberflächlichen Gesichtspunkte aber wird die objektive Betrachtung der Gerechtigkeit, welche der erste und substantielle Gesichtspunkt bei dem Verbrechen ist, beiseite gestellt, und es folgt von selbst, dass der moralische Gesichtspunkt, die subjektive Seite des Verbrechens, vermischt mit trivialen psychologischen Vorstellungen von den Reizen und der Stärke sinnlicher Triebfedern gegen die Vernunft, von psychologischem Zwang und Einwirkung auf die Vorstellung (als ob eine solche nicht durch die Freiheit ebensowohl zu etwas nur Zufälligem herabgesetzt würde), zum Wesentlichen wird.
科维刚教授作品Raison Pratique et Normativité chez Kant:Droit, Politique et Cosmopolitique(ENS Éditions, 2016)书影
Dem “oberflächlichen Gesichtspunkt” Kleins, also: der moralischen eher als juristischen Vorstellung der Strafe und ihrer Folgen, stellt sich Hegel entgegen, indem er sich auf “die objektive Betrachtung der Gerechtigkeit” beruft, wobei er betont, dass es den “erste[n] und substantielle[n] Gesichtspunkt” ausmacht. Woraus besteht diese objektive Betrachtung, und welche ist ihre Funktion in der Theorie der Strafe? Hegels Widerlegung der “reformerischen” Rede der Aufklärer ( Klein im § 99; Beccaria im § 00; Anselm Feuerbach in den rechtsphilosophischen Vorlesungen von 87 / 8 und 8 / 3) beschafft wichtige Elemente zur Beantwortung jener Frage. Gegen die von Feuerbach dargestellte psychologische Vorstellung der abschreckenden Wirkung der Strafe, gegen die moralische Erwartung einer Verbesserung der Seele des Täters (die man heute in der Parole der Wiedereingliederung), gegen den sozialen Zweck eines Schutz der Gesellschaft (Beccaria, heute der sogenannte legal realism), besteht Hegel auf eine formelle, rechtsimmanente “Gerechtigkeitsregel”, und zwar dass “das Strafen an und für sich gerecht” ist. Diese Regel hat die schlichte Bedeutung, dass “das Verbrechen als Verletzung des Rechts als Rechts aufzuheben ist”: jede Verletzung der subjektiven Rechte eines Einzelnen ist eine Verletzung des Rechts als solches und muss bestraft werden, damit das Recht in seiner Fülle und Majestät wiederhergestellt wird.
Für einen Foucault⁃Leser scheint es völlig klar, dass Hegel den Gang der Geschichte zuwiderhandelt: genau im Moment, wenn der übergang von der schrecklichen Bestrafungen der alten Zeit zu den Techniken der disziplinären Gesellschaft stattfindet, ist seine Theorie der Strafe in einer Logik der Bestrafung, und nicht der Normalisierung eingerahmt. übrigens hat Hegels Kritik der “ Moralisierung ” der Strafe durch die Juristen der Aufklärung viel gemeinsames mit Foucaults kritischer Beschreibung der Medizinisierung der Strafe, die in eine Art Umerziehung des als “kranken” bestimmten Täters umgestaltet worden ist. Indem Hegel die Strafe als eine Form der Widervergeltung definiert, hat er sich für eine Partei entschieden: die Strafe zielt nicht dazu, das zu reparieren, was irreparabel ist (ein Auge ersetzt nicht ein Auge), noch weniger dazu, eine verirrte Seele auf den richtigen Weg zu führen; ihr einziges Ziel besteht darin, einen Rechtsbruch zu beseitigen, das heißt eine “Verletzung, welche dem an sich seienden Willen ( und zwar hiemit ebenso diesem Willen des Verletzers, als des Verletzten und Aller) widerfahren” ist.
Unter solchem Gesichtspunkt hat die Strafe etwas zu tun mit der Rache, selbst wenn dieser Vergleich für unsere Vorstellungen schockierend ist:
Das Aufheben des Verbrechens ist in dieser Sphäre der Unmittelbarkeit des Rechts zunächst Rache, dem Inhalte nach gerecht, insofern sie Wiedervergeltung ist.
Dieser Satz scheint zum ersten Blick das Strafen des Verbrechens ( die handelnde Gerechtigkeit) und die Rache zu identifizieren. Die Schranken solcher Identifizierung werden jedoch sofort betont. Unter ihrer rohen, vorjuristischen Form ist zwar die Rache “dem Inhalt nach” gerecht, indem sie sich an der “Gerechtigkeitsregel” hält. Wenn es stimmt nämlich,dass das Wiederherstellen des Rechts auf dem Prinzip derWertgleichheit von Strafe und Verbrechen beruht, ist es verständlich, dass die bloße Vendetta als die Urform der Strafe erscheint. Aber die Rache ist nicht “der Form nach” gerecht: aus einem “subjektiven Willen” den Verwalter der Justiz zu machen, wird die Gerechtigkeit selbst einer Kontingenz preiszugeben, die sie zum “Progress ins Unendliche”, also zur schlechten Unendlichkeit verurteilt. Die Gleichung von Gerechtigkeit und Rache hat also eine sehr begrenzte Bedeutung. Eine rächende Rechtspraxis erliegt dem Widerspruch, weil ein besonderer Wille (derjenige des Opfers oder seiner Familie) das Recht in seiner Allgemeinheit wiederherstellen soll, so dass die Rache “eine neue Verletzung” des Rechts ist. Ein solcher Widerspruch kann erst überwunden werden, wenn die Aufhebung des Unrechts “vom subjektiven Interesse und Gestalt, sowie von der Zufälligkeit der Macht” befreit ist, das heißt wenn die “rächende” Gerechtigkeit eine “strafende” wird.
科维刚教授作品Hegel et l'hégélianisme(Presses Universitaires de France - PUF, 2015)书影
Trotz seiner begrenzten Tragweite widersetzt der von Hegel angedeutete Zusammenhang von Gerechtigkeit und Rache der modernen allgemeinen Vorstellung des Rechts. Es handelt sich nicht nur um eine etwas provokative Widerlegung der theoretischen Irrtümer der nach einer “Moralisierung” des Strafens strebenden aufgeklärten Strafrechtler, sondern um eine genauere Angabe einer Haupteigenschaft des abstrakten Rechts, und zwar seiner prinzipiellen Unabhängigkeit von den ( übrigens unvermeidlichen ) sozialen und politischen Institutionalisierungsformen, die es hic et nunc erhält. Wenn die Strafjustiz mit der Rache etwas gemeinsam hat, dann deshalb, weil das Recht “an sich”, in seiner Abstraktion, von der geschichtlichen Gestalten seiner Verwaltung begrifflich unterschieden ist. Es gibt nur ein Recht und eine Gerechtigkeit, obgleich sie sehr unterschiedliche kulturelle übersetzungen erhalten haben. Gerade das betont auf knapper Weise der Paragraph der Rechtsphilosophie:
In Rücksicht auf die Weise der Existenz der Gerechtigkeit ist ohnehin die Form, welche sie im Staat hat, nämlich als Strafe, nicht die einzige Form und der Staat nicht die bedingende Voraussetzung der Gerechtigkeit an sich.
“Der Staat ist nicht die Voraussetzung der Gerechtigkeit an sich”: um diese Aussage korrekt zu deuten, muss es daran erinnert werden, dass Hegel (das ist, wenn man will, seine Art, ein treuer Naturrechtler zu bleiben) das abstrakte, ansichseiende Recht einerseits, dessen Normen unabhängig von irgendwelchem politischen oder sozialen Anwendungskontext gelten, und die Rechtspflege, d. h. die konkrete Justizverwaltung in einer wohlfunktionierenden bürgerliche Gesellschaft andererseits, strikt unterscheidet. Unter diesen Umständen, zu behaupten, dass der Staat keine Voraussetzung der Gerechtigkeit an sich ist, bedeutet, dass der Begriff der Rechtsverletzung und der Rechtswiederherstellung ohne Bezug auf die konkreten historischen Formen der sozialen und politischen Strafpraxen vollständig durchgedacht werden kann. An sich ist jede Form der “Wiedervergeltung” ein gerechter Akt, weil sie, unabhängig von den Vorstellungen und Motiven der Handelnden, auf nichts anderes zielt, als das Recht bloß wiederherstellen. Sie ist es aber nur an sich, so dass das Retributionsmodell kein allgemeiner Archetyp der Gerechtigkeit ist.
Das Beispiel der Rache hat also den großen Verdienst, unabhängig von kontextuellen Betrachtungen die Notwendigkeit einer Entpersonalisierung, das heißt einer Institutionalisierung der Justiz festzustellen. Das Strafen eines Verbrechens kann zwar die brutale Form der Vendetta erhalten, und wird stets gewisse Charaktere davon behalten. Es soll aber diese vereinfachte Form überwinden, und zwar nicht um moralischen oder religiösen Gründe, nicht um sozialen oder politischen Gründe (der Preis der Vendetta ist zu hoch; der Staat hat das Monopol der legitimen Gewalt ...), sondern um einen strikt rechtlichen Grund: vom Standpunkt einer gerechten Auffassung des Rechts, der Rechtsverletzung und⁃Wiederherstellung muss eine “nicht rächende, sondern strafendeGerechtigkeit” herrschen.3 Welcher Unterschied gibt es darunter? Der Unterschied betrifft nicht den Inhalt, denn die Strafjustiz ist nicht prinzipiell milder als die blinde Rache, sondern den dezisiven Formumstand, dass ein unparteilicher Dritter, der Richter, die Strafe und ihre Modalitäten bestimmt. Strafen vermag nur eine Institution (die durch den Richter verkörperte Justiz), welche nicht im Namen der Gesellschaft oder des Volks, sondern des Rechts und seiner Majestät handelt.
科维刚教授作品Modernité et sécularisation:Hans Blumenberg, Karl Löwith, Carl Schmitt, Leo Strauss(CNRS, 2007)书影
In der Lehre vom abstrakten Recht ist wenig und nur vorläufig über diese strafende Justiz gesagt; dort genügt es, auf ihr Prinzip zu weisen, und zwar auf die sogenannte “ Gerechtigkeitsregel ” . Erst in der Darstellung der Sittlichkeit, noch bestimmter der bürgerlichen Gesellschaft sind die institutionellen Formen der Rechtspflege, insbesondere die modernen Modalitäten des Strafens, näher untersucht. Es muss betont werden, dass für Hegel die Rechtspflege unter den Bedingungen der Moderne, d. h. insbesondere in einer Lage der Differenzierung vom Sozialen und Politischen, die Sache der bürgerlichen Gesellschaft, nicht des Staates ist. Der Staat nämlich, obgleich er ein rechtliches Gebilde im erweiterten Sinne des Wortes “ Recht ” ist ( wonach “ jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit ihr eigentümliches Recht ” hat ) , überschreitet die Schranken des abstrakten Rechts ( des Privatrechts); daher die theoretische Unzulänglichkeit des Kontraktualismus, der den Staat aufgrund des privatrechtlichen Begriffs des Vertrags begründen möchte. Die Rechtsprechung ist zwar im nachrevolutionären Kontext eine “Pflicht” sowie ein “Recht der öffentlichen Macht”; deswegen obliegt die Rechtspflege Richtern, also Staatsbeamten, und nicht Heroen oder abenteuernden Rittern. Sie ist jedoch insofern eine soziale Angelegenheit, als das abstrakte Recht eine, oder sogar die Funktions⁃und Regulierungsbedingung der relativ autonom gewordenen bürgerlichen Gesellschaft ist. Die Verwaltung des im positiven Gesetz kodifizierten Privatrechts durch das “Gericht” (d. h. durch institutionalisierte Rechtsprechung) ist die Bedingung, oder wenigstens eine Bedingung der modernen Entpolitisierung der sozialen Zusammenhänge. Welche sind die Wirkungen dieses Phänomens für die Rechtsprechung, insbesondere für das Strafrecht?
Obgleich die jurisdictio die Wiederherstellung des “an sich seienden” Rechts in seiner abstrakten Universalität ist, vollzieht sie sich in einem bestimmten historisch⁃sozialen Rahmen; nur dadurch wird sie ein Recht “ in der Form Rechtens ” , d. h. “ in seiner Existenz gerecht”. Aber was ist eigentlich ein nicht nur seinem Begriff nach, sondern “in seiner Existenz” gerechtes Recht? Diese Frage beantwortet Hegel auf bewusst aporetischen Weise. Wenn es darum geht, das Recht unter bestimmten geschichtlichen Verhältnissen zu sprechen, bietet der “Begriff” des Rechts, d. h. das Recht “an sich” “nur eine allgemeine Grenze, innerhalb deren noch ein Hin⁃und Hergehen stattfindet”. Dieses Hin⁃und Hergehen, dieses von dem Richter erfahrenes Zögern muss jedoch zu der einzigen rechtskonformen und gerechten Entscheidung führen:
Es lässt sich nicht vernünftig bestimmen noch durch die Anwendung einer aus dem Begriffe herkommenden Bestimmtheit entscheiden, ob für ein Vergehen eine Leibesstrafe von vierzig Streichen oder von vierzig weniger eins, noch ob eine Geldstrafe von fünf Talern oder aber auch von vier Talern und dreiundzwanzig usf. Groschen, noch ob eine Gefängnisstrafe von einem Jahre oder von dreihundertvierundsechszig usf. [Tagen] oder von einem Jahre und einem, zwei oder drei Tagen das Gerechte sei. Und doch ist schon ein Streich zuviel, ein Taler oder ein Groschen, eine Woche, ein Tag Gefängnis zuviel oder zuwenig eine Ungerechtigkeit. _ Die Vernunft ist es selbst, welche anerkennt, dass die Zufälligkeit, der Widerspruch und Schein ihre, aberbeschränkte Sphäre und Recht hat und sich nicht bemüht, dergleichen Widersprüche ins Gleiche und Gerechte zu bringen; hier ist allein noch das Interesse der Verwirklichung, das Interesse, dass überhaupt bestimmt und entschieden sei, es sei, auf welche Weise es (innerhalb einer Grenze) wolle, vorhanden.
Die Strafe ist einerseits unvermeidlich kontingent, andererseits muss sie gerecht sein: das ist das Dilemma der Rechtsprechung. Gibt es ein Ausweg, damit die Idee der Gerechtigkeit kein Gespenst oder ein Instrument von nicht expliziten social policies wird? Dieser Ausweg ist “das Interesse der Verwirklichung”. Die durch die Logik der Rache scheinbar gelöste Aporie der Wiedervergeltung hat eine praktische Lösung, und zwar die Annahme eines mäßigten dezisionistischen Postulat: wenn es sich in einer gesitteten bürgerlichen Gesellschaft darum handelt, eine nicht nur richtige, sondern gerechte Entscheidung zu treffen, muss jedoch eine Entscheidung getroffen werden, und diese Notwendigkeit der Entscheidung ist stärker als irgendwelcher weiterer Umstand. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer radikalen dezisionistischen Hinsicht irgendwelche Entscheidung getroffen werden muss, weil immerhin das Gerechte die Verwirklichung des ansichseienden Rechts ist. Der Sinn für die Gerechtigkeit, deren “ewigen substantiellen Prinzipien” in dem “gesunden Menschenverstand”, und zwar in der öffentlichen Meinung nunmehr enthalten sind, soll als eine Art normativer Schliessungsklausel des Rechtssystems verstanden werden, die stets revidiert werden muss, aber eine geschmeidige Schranke gegen das Unrecht ausmacht.
·END·
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