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Ist der deutsche Film rassistisch?

Mirjam Ratmann 北京德国文化中心歌德学院
2024-09-02

Willkommen bei den Hartmanns, 2016 | © Picture Tree International


Ist der deutsche Film rassistisch?
Wir haben einen Schauspieler, eine Regisseurin und eine Afrikawissenschaftlerin gefragt

Vom Farbfernsehen hatten wir uns mehr versprochen: Schwarze Menschen und afrikanische Länder werden in vielen deutschen Film- und Serienproduktionen bis heute dargestellt wie in den 50er Jahren: triebhaft, kindlich-primitiv, kriminell, in jedem Fall: anders. Warum halten sich rassistische und koloniale Klischees so hartnäckig? Ein Feature über das Weiß-Weiß-Denken im deutschen Film.






Tyron Ricketts ist in Österreich geboren, in Deutschland aufgewachsen und Wahlberliner. Vor seiner Schauspielkarriere arbeitete er als Moderator bei VIVA.


fluter.de: Tyron, du spielst seit 25 Jahren in deutschen Fernsehproduktionen. Ist die Branche rassistisch?
Tyron Ricketts: Ich würde sagen, rassistisch ist die Sichtweise auf die Welt, aus der wir in Deutschland Geschichten erzählen. Mit diesem eurozentrischen Blick wird meist der Weiße Mann das Subjekt, und alle anderen werden zum Objekt. Das färbt auf die Strukturen in Film und Fernsehen ab. Unterm Strich ist die Antwort also: Ja, die deutsche Filmbranche ist rassistisch.


Wie äußert sich das?
Die deutsche Gesellschaft besteht zu 25 Prozent aus Menschen mit Migrationsgeschichte. Wenn man sich dann aber in Film und Fernsehen anguckt, wie diese Menschen repräsentiert sind – sowohl zahlenmäßig als auch in welcher Art und Weise –, fällt sofort auf, dass nicht jeder vierte Mensch, der auftaucht, eine Migrationsgeschichte hat. Und wenn so jemand auftaucht, dann nicht in der Rolle des Helden, sondern oft mit Negativklischees und Vorurteilen.


Welche sind das konkret bei Schwarzen Menschen?
Stark sexualisierte Darstellungsweisen, bei Frauen noch mehr als bei Männern. Ich habe aber schon erlebt, dass bei meiner Rolle nicht ein Fünfer-, sondern ein Hunderterpack Kondome gefunden wurde oder dass sich Polizisten beim Abtasten überzeugen wollten, ob es wirklich stimmt, dass Schwarze Männer große Schwänze haben. Außerdem tauchen Schwarze Menschen oft ausschließlich im Zusammenhang mit Flucht, Drogen oder Gewalt auf.


Wie hat sich das auf deine Vita ausgewirkt?

Ich habe in mehr als 65 Filmen gespielt. Fast immer war ich „der Andere“, also der Ami, jemand aus Westafrika oder Jamaika. Wenn ich mal ein erfolgreicher Hoteldirektor sein durfte, dann nur auf Mauritius (Anm. d. Red.: wie in die „Die Inselärztin“, seit 2018 in der ARD). Ganz selten werde ich als rechtmäßiger Teil dieser Gesellschaft dargestellt. Dabei habe ich einen deutschen Pass und lebe seit über 40 Jahren hier.


Was ist ein „Afrikafilm“ ?

Das Etikett „Afrikafilm“ bezeichnet Spielfilme, die in einem afrikanischen Land gedreht werden. Typischerweise steht eine Weiße Europäer*in (meist sind es Frauen) als Held*in im Zentrum der Story, die aus ihrem alten Leben geflohen ist, um in Afrika die berufliche, persönliche oder romantische Erfüllung zu finden. Vor Ort spielen sich die Protagonist*innen oft als White saviors auf: Sie versuchen, die Lebensrealität der Nicht-Weißen Bevölkerung (vermeintlich) zu verbessern, indem sie sie kultivieren und die Menschen missionieren. Schwarze Schauspieler*innen dienen dabei meist als Objekte, an denen sich die Befreiung und Entwicklung der Weißen Hauptperson vollziehen kann. Schwarze werden dabei sie in der Regel stereotypisch dargestellt: sexualisiert, kindlich-primitiv, wild, gefährlich. Viele dieser Filme rücken die Natur und Tiere des afrikanischen Landes in den Vordergrund, um das Narrativ ‚Natur‘ versus ‚Kultur‘ zu stützen.




Susan Arndt ist Professorin in Bayreuth. Sie arbeitet seit Jahren zu Rassismus und deutschen Afrikabildern.


„Deutschland hat nie mit dem Rassismus gebrochen, der sich durch den Kolonialismus über Jahrtausende in Denkmustern, Handlungen und unserem Wissen etabliert hat. Teil dieses Diskurses ist es, eine weiße deutsche Überlegenheit zu begründen, also Weiße als Kultur und die so konstruierten ‚Anderen‘ als Natur zu zeigen. In Kolonial- und Afrikafilmen wird Afrika als Gefahr erzählt, gleichzeitig aber exotisiert und erotisiert. Weiße Charaktere werden als überlegen und individualisiert erzählt, während Schwarze eher entindividualisiert werden und als Kulisse von Afrika als unterlegener Natur dienen.“


Woran liegt es, dass Schwarze Schauspieler*innen fast nur fremdbestimmte Rollen bekommen?
Susan Arndt: Die deutsche Medienbranche ist Weiß – von Autoren über Produzenten hin zu Castern, Regisseuren und Intendanten. Ich bin seit 25 Jahren in der Branche und muss sagen: Ich treffe kaum Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, und zudem unterdurchschnittlich wenige Frauen. Diese Gruppe produziert hauptsächlich Geschichten, in denen es um sie selbst geht. Darum sind die meisten Geschichten, die man als Drehbuch auf den Tisch bekommt, nicht sonderlich divers.


Fördern deutsche Filmproduktionen so alltäglichen Rassismus?

Ich glaube schon. Letztlich sagen solche Filme der Gesellschaft, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht Teil unserer Gesellschaft sind. Wenn man ein Viertel der eigenen Gesellschaft als fremd wahrnimmt, ist es für mich sogar nachvollziehbar, dass man Angst vor denen hat, die eingewandert oder gerade auf der Flucht sind.



Vier Spielfilme, die rassistische Geschichten erzählen

„Schöne heile Welt“ (2019) 

Willi lernt Fianarantsoa kennen. Da er seinen Namen nicht aussprechen kann, nennt er ihn einfach Franz. Willi lässt den Jungen für sich den Flur fegen und Pfandflaschen sammeln – und reproduziert damit das rassistische Bild des Schwarzen Gehilfen eines Weißen Herren. Es entwickelt sich ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, bei dem Willi als „Macher“ und Fianarantsoa als primitiv und unselbstständig aufscheint – ein kolonial-rassistisches Narrativ, das suggeriert, dass das Leben einer Schwarzen Person erst durch eine Weiße Person besser wird. Durch Fianarantsoa renkt sich Willis Leben ein: Er findet einen Job, eine Frau und zurück zu seinem Sohn. Fianarantsoa wird abgeschoben, über seine Charakterentwicklung lernen die Zuschauer*innen nichts. Seine Rolle stützt im Endeffekt also nur die Entwicklung der Weißen Hauptperson.
 
„Willkommen bei den Hartmanns“ (2016)

Diallo, ein Schwarzer Geflüchteter, wird für die Weiße Familie zum Projekt: Das Zusammenleben mit „ihrem Flüchtling“ bewirkt, dass die Weißen Protagonist*innen nach und nach ihre Probleme lösen und sich persönlich entwickeln können. Über Diallo erfährt man derweil wenig, er bleibt auf die Rolle des hilfsbedürftigen Geflüchteten reduziert. Noch offensichtlicher sind die rassistischen Stereotype: Diallo ist vor allem an Sex und Partys interessiert und hat wenig Respekt vor Frauen. Die Weißen Hauptpersonen geben die Retter*innen, indem sie Diallo wie ein Kind über die vermeintlich richtige Lebensweise belehren. Auch interessant: Der Name des Diallo-Darstellers Eric Kabongo stand zunächst nicht auf dem deutschen Filmplakat.
 
„Die weiße Massai“ (2005)

Der Klassiker unter den „Afrikafilmen“. Die Weiße Carola verliebt sich im Kenia-Urlaub in Lemalian, einen Samburu-Krieger, der ihr als erotisch-exotisches Abenteuer dient. Carola setzt sich kaum mit seinem Dorf auseinander, will aber das Leben dort europäisieren. Lemalian ist sexuell impulsiv, aggressiv, wird oft und schnell eifersüchtig wie ein Kind. Carola versucht, ihn zu zähmen. Das Afrikabild jenseits der Paarbeziehung ist fast noch problematischer. Tieropfer, Beschneidung, Armut, unterdrückte Frauen: In dieser bösartigen, primitiven Kultur kommt die Weiße Retterin Carola gerade recht. Schließlich muss sie aber vor Lemalian fliehen und nimmt das gemeinsame Kind mit.
 
„Nirgendwo in Afrika“ (2001)

Die jüdische Familie Redlich flieht vor den Nazis nach Kenia. Die Schwarze Bevölkerung vor Ort arbeitet für  die Familie. So auch Owuor, der als Protagoninst nur eine Funktion hat: Dienen. Owuor ist Koch, Bediensteter und Helfer der Tochter. Man erfährt, dass er mehrere Frauen und Kinder hat. Dieses Bild vom polygamen und sexuell potenten Afrikaner bleibt nicht das einzige rassistische Stereotyp: Die Kenianer*innen sind ausnahmslos „anders“ als Redlichs: ärmlich und unterernährt. Sie trinken das Blut vor Tieren, essen rohes Fleisch, sind wenig bis gar nicht bekleidet, ihre Kinder sind dreckig und krank.



Siehst du Medien wie den Film in einer besonderen Verantwortung, wenn es um Diversität geht?
Viele Menschen denken immer noch im Schema „Wir“ und „Ihr“. Wenn Medien das reproduzieren und bestätigen, können sie diese Gedanken verstärken und so einen Keil in unser friedliches Zusammenleben treiben. Kommen zeitgeschichtliche Situationen wie die starke Flüchtlingsbewegung oder das Erstarken rechter Parteien dazu, kann aus Gewalt im Kopf schnell Gewalt durch Taten werden. Das haben wir in Hanau wieder erlebt.


Wie gehst du in deiner Arbeit als Schauspieler mit klischierten oder rassistischen Rollen um?
Entweder Produzenten entscheiden sich dafür, eine „normale“ Rolle mit jemandem zu besetzen, der nicht Weiß-deutsch ist – das passiert relativ selten. Die Rollen, die für einen geschrieben sind, sind meist klischeebehaftet. Ist das Drehbuch erst mal fertig, kannst du am Set nicht mehr viel ausrichten. Ich muss mir dann überlegen, ob ich versuche, das Beste aus der Rolle zu machen, indem ich mich mit dem Produzenten und Regisseur hinsetze und zum Teil auch mit ihnen anlege, und erkläre, warum Charaktere oder Dialoge rassistisch sind. Damit laufe ich aber Gefahr, als unbequem zu gelten.


Du könntest solche Rollen einfach ablehnen.
Das kann sich nicht jeder leisten. Ein Schauspieler verdient in Deutschland durchschnittlich 1.000 Euro im Monat. Da muss man sich jede Absage gut überlegen. Ich hatte schon Regisseure, die, nachdem ich sie auf rassistische Narrative hingewiesen habe, zu mir meinten: „Wenn man es so sieht, ist es vielleicht rassistisch. Aber wenn du es nicht machst, macht es ein anderer.“


Mehr als Diskussionen am Set sind für dich also nicht möglich, um dieses Problem zu lösen?

Doch. In den USA durfte ich mit Harry Belafonte zusammenarbeiten. Das hat mich sehr inspiriert: Belafonte hat Unterhaltung sein Leben lang genutzt, um die Gesellschaft zu verändern. Nach meiner Rückkehr hatte ich wieder Engagements mit rassistischen Szenen, und da ist mir richtig heiß geworden vor Wut. Das machst du nie wieder, habe ich mir gesagt. Da habe ich meine Produktionsfirma Panthertainment wieder aufgemacht, mit der ich schon in den 90er-Jahren gearbeitet habe.





Mo Asumang schauspielert, moderiert, schreibt und führt Regie.


„Als ich Branwen Okpakos Film ‚Tal der Ahnungslosen‘ gesehen habe, musste ich fürchterlich weinen. Ich wusste zuerst gar nicht, warum. Dann ist mir klar geworden: Das ist die erste afrodeutsche Geschichte mit einer Schwarzen Hauptdarstellerin (Nisma Cherrat), die ich je gesehen habe. Da war ich 40. Das ist traurig. Wenn man ständig nur Stereotype sieht, ärgert man sich grün und blau. Sollten Film und Fernsehen nicht weiter sein als die Realität? Die haben auch eine Lehrfunktion: Es ist wichtig, dass sich Zuschauer mit den Figuren identifizieren und über ihre Geschichten lernen können. Dass man sich nicht mit afrodeutschen Figuren identifizieren kann, dass sie im Fernsehen oft nicht mal stattfinden, ist eine große verpasste Chance.“


Was macht es mit Schwarzen Menschen, wenn sie in Film und Fernsehen ständig nur Schwarze Klischee sehen?
Mo Asumang: Ich vermute, dass es Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl hat und auf die Ziele, die sich junge Schwarze Menschen im Leben setzen. Wenn man sich immer nur als Verbrecher sieht, ist es schwieriger, sich eine Karriere als Bürgermeister oder Manager vorzustellen. Die Forschung zeigt, dass Unterhaltung wegweisend für die eigene Biografie sein kann. Ich finde, wir müssen Utopien abbilden, die zeigen, wie es sein kann. Der erste Schritt ist aber, die Realität zu zeigen. Und die ist ja schon besser und vielfältiger, als sie bislang im Fernsehen dargestellt wird.


Filmstill aus „Nirgendwo in Afrika“


Denkst du, die Branche erkennt das und wird sensibler?

Viele erkennen zunehmend ihre Verantwortung und stellen die Bilder infrage, die sie produzieren. Dazu kommt, dass das Streaming unsere Sehgewohnheiten ändert. Die großen Plattformen produzieren für eine globale Kundschaft, und die ist überwiegend nicht-Weiß. Da ist es sinnvoll, Geschichten zu erzählen, die die Vielfalt abbilden. Ich glaube, auch die deutsche Fernsehbranche merkt, dass sie sich nicht nur dem demografischen Wandel in Deutschland anpassen muss, sondern auch diesem globalen Markt, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sein will.


Kennst du ein Positivbeispiel aus Deutschland, das Diversität schon als Normalität zeigt?
Es gibt Vorbilder. Ich habe bei „SOKO Leipzig“ im ZDF ein paar Jahre lang ganz normal den Kommissar gespielt, ohne dass oft thematisiert wurde, dass ich Schwarz bin. Viele Versuche scheitern aber, weil sie nicht ernst genug gemeint sind. Oder gut gemeint, aber schlecht umgesetzt.


Wie löst man das Problem?
Menschen mit Diversitätserfahrung gehören in die komplette Produktionskette, von der Idee übers Drehbuch bis zur Ausführung am Set. Denn letztlich muss die Gesellschaft in allen Berufen so abgebildet werden, wie sie wirklich ist.


Trotzdem sind sogenannte „Afrikafilme“ immer noch beliebt.
Der durchschnittliche Fernsehzuschauer ist Mitte 40, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern über 60. Klischees, altbekannte Sichtweisen und die Abwendung von rassistischen Diskursen stören viele der Zuschauer nicht. Eine schöne „afrikanische“ Kulisse im Hintergrund, der Weiße Retter im Vordergrund, das kommt nach wie vor gut an, glaube ich. Und solange der eurozentrische Blick in der Gesellschaft nicht breit thematisiert wird, bleibt das auch so. Dieser Diskurs fängt gerade erst an. Aber ich bin froh, dass ich mittlerweile mitdiskutieren kann.






Übrigens: Wir schreiben „Schwarz“ in diesem Text groß, um zu verdeutlichen, dass es keine „Eigenschaft“ ist, die mit Hautfarbe zu tun hat, oder Kategorie, in die man Menschen einordnen kann. Der Begriff „Schwarz“ ist hier eine politische Selbstbezeichnung von Menschen, deren Erfahrung durch Kolonialismus und Rassismus geprägt ist. Genauso ist Weiß-Sein keine Eigenschaft, sondern eine dominante und privilegierte Position innerhalb eines rassistischen Machtverhältnisses. Diskriminierungssensible Sprache ist auf fluter.de immer Entscheidung der Autorinnen und Autoren.
Interview und Protokolle: Mirjam Ratmann

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE.

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