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安迪·沃霍尔这种艺术家被称为画家,说明市场没有专业能力 | Interview mit Peter Weibel

歌德学院 北京德国文化中心歌德学院 2021-09-30

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彼得·魏博尔 | © 歌德学院


爱离你最远的人,就像爱你自己一样!


我们知道,新媒体不断颠覆我们对现实的认知和理解,甚至改变我们审视自我的观点。这种现实上的改变在多大程度影响并深刻改变我们的心理和公共空间?


到目前为止,现实是由主体的两种感官体验构成。一种体验是近感,例如通过触觉、嗅觉感知,另一种就是依赖眼睛和耳朵进行远感体验。现实就建立在近感和远感的相互协调中。远感与近感之间存在着平衡。


200年随着于电磁技术的发展,这两种感官体验之间出现了一种新的等级秩序,即远感占绝对优势。这源自人类想要强化远感,而非加强近感的欲望。也就是说,我们通过传真、广播、电话、电视和网络创造了一个远程社会,与此同时,近感与远感之间的鸿沟变得如此巨大,近感已经不再发挥作用。


图像产生的属性导致内在与外在之间的分裂渐渐消失,公共领域与私人领域之间的关系如何受到影响?


请允许我举一个肮脏的例子:人们所谓爱情或者色情,是近感的画面或是战场,通过皮肤的触摸。今天人们也乐于通过媒体以远感来体验,这就是观众通过电视、色情电话或youporn这样的色情网站所看到的。他首先是观察者。过去的200年我们创造了一个远程社会。在一个远感的体系下,图像起到核心作用。观众说自己在看电视,实际上他什么也没有看到,他的眼睛被剥夺,至少观众本人的眼睛不在事发现场。事发现场是另一个人。观众用这个人的眼睛在电视中看到了一个世界。而这个人则是通过相机的眼睛看世界。我们生活在镜像的国度。


如果个人的自我认同越来越依靠图像来建构并传达,那么公共空间中指导个人行为的价值体系如何改变?


我们还没有涉及远感的道德标准。圣经里说,你不要对邻居的女人和财产打主意。实际上早就应该说:不要爱离你最近的人,而是要爱离你最远的人,就像爱你自己一样。


那些戒律都是针对近感的。几千年来我们都是为近感而生。现在我们的眼睛可以上天入地,我们生活在一个由远感创造的真实世界里,我们以为能够用针对近感的规则去控制世界。


在图像制造、伦理、法律三者关联的情况下,会产生什么样的关系?


法律制度也是建立在近感的基础上。比如给艺术品拍照,拍摄者的名字将不会被提及。如果我有能力一下把两个摩天大楼夷为废墟,那么理论上我应该被称为作者,这样的一幅照片会提到摄影师是谁。这两种立场是相反的。我们还不能区分持有人和作者。民族志的摄影也是如此,照片上的舞蹈者应该被提及。民法不懂这一点。我们的社会嗜图为性,图像的制造者占据主导地位,事件的作者则被压制。这是第一个问题。如果有人被持枪者威胁,我想给这个场景拍照,那么我会面对一个选择——救人还是拍照?对图像的贪婪导致我不能用人性的方式来解决伦理冲突。
 

图像让人们省去行动。圣经里就写到,你可以从行动中认识一个人。对图像的信任是宗教仅剩的最后一个神圣行为,一如宗教改革之前。


可是大部分的图像都是经过设计安排的。图像是法律证据吗?不是,法院不相信摄影的纪实性。


你一直强调艺术和科学之间存在着强大的关联,认为艺术是科学的一种形式,赋予了艺术知识价值。新科技在哪种意义上改变这种形式的认知?


德国摄影师安德雷亚斯·古斯基(Andreas Gursky)在电脑上创作图片,却被视为继承杜塞尔多夫纪实派的传统,这是十分荒诞的。直到今天,人们尚未彻底认识到图像认知的前提。很不幸的是,艺术依靠的是近感领域。达芬奇就开始解剖,进而在《绘画论》中用科学属性阐述了绘画。画家拥有绘画的手法:点、线、面,可以依此用可见的形象展现事物。达芬奇也观察了表象下的事物。目前我们已经有手术刀、显微镜、超声波等工具。也就是说科学重新定义了“可见”的概念。我们使用工具,就能比肉眼看得更远。科学满足了达芬奇的要求。画家还停留在肉眼的层面。科学把可见的区域扩展了,比如通过计算机断层扫描技术,让看不见的东西变得可见。


艺术无需再承担解释世界的重担。幸亏今天有反向运动。当前艺术家拥有与医学工作者类似的工具,艺术与科学由此又彼此接近了。这意味着我们开始了第二次文艺复兴,却显然会遭到艺术家及艺术市场的排斥。曾有人说摄影也不是艺术。


我们不难想象,1936年到1938年曼·雷(Man Ray)出版得一部题为《摄影不是艺术》(La photographie n'est pas l'art)的个人摄影作品集,是因为他对上述论调感到厌倦。60年代所有人都说媒体艺术不是艺术。当时称之为作品,而不是艺术作品。


1989年我在法兰克福成立国立造型艺术学院(Städelschule),当时有艺术家对我说,“你就是那个把机械精神带入艺术的人”。我只能回答,“如果你反对机械精神的话,你也得把艺术学院里的钢琴扔掉。”


你的创作中有一个一再出现的主题,就是公众对艺术的理解和艺术的社会重要性愈发受到自由市场的影响。经济在作品的美学鉴赏中起到什么作用?它在何种程度上会影响经济角度之外的艺术鉴赏?


我们要知道绘画的历史就是一部命题作画的历史。所以阿尔珀斯(Svetlana Alpers)写了本好书《作为企业家的伦勃朗》。今天命题绘画带有一些贬义的色彩。什么时候产生了独立艺术的想法?画家以前都是委托,记录教会或者贵族历史,表现教会、军阀或者贵族的权力。即使是拥有高额报酬的画家如扬·弗美尔(Jan Vermeer),迭戈·委拉斯开兹(Diego Velázquez)都加入“艺术手工业者”行会。


19世纪当指定作画的委托者消失时,才出现了自由艺术市场,艺术家称自己是独立的。梵高没有受人之命作画,那时候才开始有人说绘画是内心渴望所致。


1884年,一些艺术家被排斥于巴黎优越又传统的沙龙之外,他们于是举办了“独立沙龙”。


这个帐篷搭起来的沙龙是一个新艺术市场,这里的规则是:丑闻越多,观众越多。这与批评马奈的《草地上的午餐》(1863)迎合大众品味同样道理。独立沙龙的参观者多达5000人,中产市民想要在此看到家里看不到的东西。甚至连塞尚都模仿安格尔,画出了后宫女性。他们以粗野下流的内容瞄准了公众的品味。艺术独立根本无从谈起。


艺术家需要不断加大剂量,以反中产阶级自居的艺术家刻意要震惊他们:在诗歌界叫做“震惊市民”,这是艺术家不光彩的一次屈膝。


也就是说,市场带来了极端化。画家用一个颜色画画,或者只用红、蓝、黄三种颜色作画(亚历山大·罗钦科1921年作“纯红,纯黄,纯蓝”),这是一个精简的程序。我们还想要100年的单色画吗?当前的现实已经是如此迫切了,我们必须要把现实看在眼里。


你和布鲁诺·拉图尔(Bruno Latour)一起策划了一次开创性的展览“圣像破坏:在科学、宗教和艺术的形象战争之后”,并共同出版了展览的画册。你认同他的关于“现代性的失败”的观点吗?


现代性信奉的是简约。1926年包豪斯有一本著名的书,是康定斯基所著的《点线面》。现代艺术不是抽象艺术,而是表现手法的自我表现。人们抛弃艺术对象,同时加入杜尚反艺术的行列,把工业产品和摄影引入艺术领域。


整个现代艺术都以摄影的模式运作,直至今日仍然混淆了持有者和作者的区别。这是侵犯版权。


安迪·沃霍尔从来没有一幅作品是从头至尾经由自己完成的,他的作品都是经过加工的丝网印刷,这种艺术家被称为画家,说明市场没有专业能力。沃霍尔使用小报、明星、事故现场的图片,就能成名。杰夫·昆斯(Koons)也是如出一辙。


艺术由此变得下流,今天我们问——这是艺术品还是可以扔掉?以前人们寻找升华,现在则是把普通的东西冠以升华之名。


关于破坏偶像主义和伊斯兰国的图片冲击,怎样解读图像意识和肖像的残酷?


在西方文化中,媒体已经完成了其使命,就是引导观众享受残忍,享受尽可能多的尸体。策划残忍图像的手段让伊斯兰国变得很成功。伊斯兰国比电视做得更好,他们学足好莱坞那一套,是图像原始产业的竞争者,而且制造真实的图像。他们通过社交网络传播恐惧。


图像战争是战争的延续。伊斯兰国认识到了这一点。要知道欧洲媒体实际上是伊斯兰国的图像部,如果《明镜周刊》把欲袭击机场的叙利亚袭击者搬上封面,那么袭击者的目的就达到了。事件越恶劣,就更容易登上封面。


我们滋养出了一个文化,人们已经习惯了邪恶。伊斯兰国不是别人,正是我们自己,是我们的镜子。对平凡的美化变成了对残忍的美化。


媒体知道大众已经变得下流。只有当民众自己——即主体——说:我们不要这样,情况才能有所转变。但在今天这个时代,虽然没有电视机,我也必须要给电视付费,这被国家合法化了,连反对电视的机会都没有。所有人都被迫变得粗俗下流。这就是大众传媒中关于丑陋的伦理。


哈贝马斯所倡导的现代性普世理想真的不存在吗?我们要再次面对价值的地域化吗?


普世主义的弊端在于其忽视成员制度。人们梦想实现世界主义,每个人都是地球的公民。


仅仅通过语言、性别、民族归属就能确定,我们的生活是建筑在成员和归属感的基础上。如果我属于一个组织,那我肯定就不属于另一个组织。我们梦想有一个所有人都加入的俱乐部,但是这些成员并不属于同一个俱乐部。语言、宗教、民族都构成了各自的俱乐部。不说英语的人无法进入一个讲英文的俱乐部。这是普世主义的梦想。我们只能说,我们大家都是人。如果站在边境线上,就会有人问:“你是德国人还是外国人?”。


一个人不可以同时是三个教会的成员。我们宣传自然、文化、宗教的多样性,认为它值得赞许。一个掌握三种语言的人并不比只会一种语言的人更好。我们要实现平等,但这不意味着要废除成员制度。世界主义梦想的实质就是,在世界公民与永久和平(康德)的意义上,废除成员制度。


但世界就是由区别构成的,幸亏如此!如果我觉得自己属于胖子一列,而不是廋人一列,那我会对自己说,胖子跟廋人一样好,虽然这样很困难。我们常出于好意倾向磨平事物间的区别。事实上,我们是可以不这样做的,的确有受害者,有凶手,有杀人犯,有被害者,我们也要平衡法律上有时关心凶手甚于受害者的倾向。


我们能够做到的是承认每个成员都平等平权,如果他们符合一定的被较大群体认为是正确的价值理想。我们永远不可能实现让所有的人都认可的价值观念。世界主义的普世主义梦想建立在幻想之上,即消除成员制。


博物馆2.0 从今天的视角来看,新媒体都蕴藏着哪些民主潜力?你的部分工作就是以此为题,比如“你:博物馆与网络2.0”这个项目,以及“网络2.0时代的博物馆”这篇文章就系统宣告了新媒体面对的新任务,即对博物馆的民主化。


30年前总共有6个双年展,到今天是120个。博物馆经历过瓶颈期,反复展出一样的东西:欧美艺术,古典艺术等等。现在慢慢地出现了一些学科交叉的人士。这种精英教育行不通了,双年展在此就起到了一个关键作用。


我希望参观者可以转化学习的过程,博物馆变成实验室,一个可以放松,吃东西喝饮料的大厅。博物馆要变成一个激发思想和传播知识的空间,有能力的人可以在里面授课,学习博物馆的运作。通过新科技我们有机会改变博物馆参观者的行为,他们无需像游客那样仅是观看奖杯一般陈列着的画作。现在有互动的艺术品,或者是虚拟现实技术,观众必须要行动要参与。博物馆应该变成学习的实验室,付费参观好比对教育的投资


 
人物介绍


魏博尔(Peter Weibel)发表了大量关于当代艺术、传媒历史、传媒理论、电影、影像和哲学的文章,并做了大量的相关报告。作为理论家和策划者,他力求奉行一种兼顾技术史于科学史的艺术和艺术史。作为高校教师和多家机构的长期负责人,通过举办会议、策展及发表文章,他对欧洲的计算机艺术影响至深,他领导的艺术机构包括:林茨电子艺术中心(Ars Electronica, Linz),法兰克福新媒体学院(Institut für Neue Medien),卡尔斯鲁厄艺术和媒体中心(ZKM,Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe)。(摘自维基)

魏博尔教授从1999年1月至今主管卡尔斯鲁厄艺术与媒体中心。


原标题:《变革当下:与彼得·魏博尔的访谈》

作者:提问者是都灵大学的费德里科·韦尔奇诺教授(Federico Vercellone)及西蒙娜·伦茨(Simone Lenz)。
翻译: 高虹

版权:歌德学院




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Interview mit Peter Weibel


© Goethe-Institut


Liebe Deinen Fernsten wie Dich selbst!

Wie wir wissen, produzieren die neuen Medien eine regelrechte Umwälzung unseres Realitätsbegriffes, sogar unserer körperlichen Eigenwahrnehmung. Inwiefern bedingt diese Veränderung der Wirklichkeit auch tiefgründige Veränderungen unserer Psyche und des öffentlichen Raumes?

Bisher wurde die Wirklichkeit durch zwei Formen der Sinneswahrnehmung des Subjekts konstruiert: einerseits durch die Nahsinne, das heißt man konnte etwas ertasten, erspüren, etwas riechen – andererseits durch die Fernsinne Auge und Ohr. In Abstimmung zwischen Nah- und Fernsinn schien sich die Wirklichkeit zu konstruieren. Es gab eine Balance zwischen Fernsinn und Nahsinn.


Seit 200 Jahren gibt es durch die elektromagnetische Technologie eine neue Hierarchie: eine Dominanz der Fernsinne. Es war das Begehren des Menschen, die Fernsinne zu verstärken und eben nicht die Nahsinne. Das heißt, wir haben eine Art Telegesellschaft gegründet – per Fax, Radio, Telefon, Television, Internet; und dabei ist die die Kluft zwischen Nah- und Fernsinnen so groß geworden, dass die Nahsinne keine Rolle mehr spielen.

Welche Art der Beziehung entsteht zwischen öffentlicher und privater Sphäre, wo doch die Dichotomie zwischen Innen und Außen durch die von den Bildern produzierten Zuschreibungen zunehmend entfällt?


Erlauben Sie mir ein schmutziges Beispiel: Was die Leute Liebe nennen oder Erotik, war der klassische Schauplatz beziehungsweise Kampfplatz der Nahsinne – die Berührung von Hautoberflächen. Heute genießen die Menschen aber auch den medialen Ersatz durch die Fernsinne – das ist es, was ein Zuschauer, sei es per TV, Telefon-Sex oder Youporn, als Zuschauer sieht. Er ist Beobachter Erster Ordnung. Wir haben in den letzten 200 Jahren eine Telegesellschaft errichtet. In diesem Regime der Fernsinne spielt das Bild die zentrale Rolle. Der Zuschauer sagt, er sehe fern. Er sieht aber gar nichts, seine Augen sind geradezu enteignet – jedenfalls sind sie nicht an dem Ort des Geschehens. Dort ist ein Anderer. Der Zuschauer sieht die Welt im TV mit den Augen von jemand anderem. Ein Anderer sieht die Welt mit den Augen einer Kamera. Wir leben also in einem skopischen Regime.

Wenn die Identität des Individuums immer mehr mittels Bildern konstituiert wird, durch Bilder „vermittelt“, wie verändert sich dadurch das Wertesystem, welches das Verhalten des Individuums im öffentlichen Raum leitet?


Wir haben noch keine Moral der Fernsinne. In der Bibel heißt es: „Du sollst nicht begehren Deines Nachbarn Weib oder Hab und Gut.” In Wirklichkeit müsste es doch schon lange lauten: „Liebe deinen Fernsten – anstatt Deinen Nächsten – wie Dich selbst.”

Die Gebote sind für die Nahsinne ausgelegt – wir waren Jahrtausende für Nahsinne geschaffen. Nun können wir über den Hügel und die Wolken schauen. So leben wir in einer von Fernsinnen konstruierten Wirklichkeit und glauben, diese Welt mit den Regeln der Nahsinne kontrollieren zu können.

Welche Beziehung könnte sich in diesem Zusammenhang zwischen Bildproduktion, Ethik und Recht etablieren?

Auch die Justizsysteme sind aufgebaut aus dem Reich der Nahsinne. Wenn Kunstwerke fotografiert werden, wird der Fotograf unterschlagen. Wenn ich so tüchtig bin, dass ich zwei Wolkenkratzer in Schutt und Asche versenke, hätte ich theoretisch das Anrecht, als Autor genannt zu werden, aber hier wird der Fotograf genannt. Diese Positionen sind konträr. Wir haben noch nicht gelernt, zwischen Urheber und Autor zu unterscheiden. Auch bei der ethnografischen Fotografie sollten die Tänzer genannt werden. Das bürgerliche Recht hat das nicht verstanden. In unserer bildsüchtigen Gesellschaft dominiert der Autor und der Urheber wird unterschlagen. Das ist das erste Problem. Wenn ich ein Foto mache von einer Situation, in der jemand mit einer Waffe bedroht wird, habe ich die Wahl – soll ich eingreifen oder ein Foto machen? Hier führt die Bildersucht dazu, dass ich einen ethischen Konflikt nicht menschlich löse.


Das Bild erspart dem Menschen die Handlung. Schon in der Bibel steht: „An ihren Taten sollst Du sie erkennen.“ Die Bildgläubigkeit ist der letzte sakrale Akt, der letzte Rest von Religion – wie vor der Reformation.


Dabei sind die meisten Bilder sowieso inszeniert. Ist es ein juristisches Beweismittel? Nein das Gericht glaubt nicht an den dokumentarischen Charakter der Fotografie.


Sie haben immer schon eine starke Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft behauptet und die Kunst als eine Form von Wissen gedeutet, ihr also einen epistemologischen Wert zugeschrieben. In welchem Sinne verändern die neuen Technologien diese Form von Erkenntnis?


Es ist zum Beispiel grotesk, dass der deutsche Fotograf Andreas Gursky, der doch seine Bilder am Computer macht, in der Tradition der Düsseldorfer „Dokumentarschule“ gesehen wird. Man hat die epistemologischen Voraussetzungen des Bildes bis heute nicht durchdacht.


Die Kunst hat sich tragischerweise auf das Reich der Nahsinne verlassen. Dabei hatte schon Leonardo da Vinci begonnen zu sezieren und in seinem Trattato della pittura den wissenschaftlichen Charakter der Malerei begründet. Der Maler verfüge über die Mittel der Darstellung: Punkt, Linie, Fläche und damit stellt er eine sichtbare Form der Dinge dar. Leonardo hat unter die Oberfläche geschaut. Mittlerweile haben wir weiche Skalpelle, Mikroskope, Ultraschall etc. Das heißt die Wissenschaft hat den Begriff „sichtbar“ neu definiert. Wir nehmen Geräte zur Hand, um weiter zu sehen als das natürliche Auge. Die Wissenschaft hat den Anspruch von Leonardo da Vinci erfüllt. Die Maler sind beim Auge stehen geblieben. Die Wissenschaft hat die Zone des Sichtbaren verschoben – etwa durch Computertomographie – sie hat das Unsichtbare sichtbar gemacht.


Die Kunst hat abgedankt als System der Welterklärung. Gottseidank gibt es heute Gegenbewegungen. Künstler verfügen heute über ähnliche Instrumente wie Mediziner, dadurch nähern sich Kunst und Wissenschaft wieder an. Das heißt wir beginnen gerade mit einer zweiten Renaissance, die klassischerweise von den Malern und vom Markt bekämpft wird. So hieß es auch Fotografie sei keine Kunst.


Wenn man sich vorstellt: Man Ray hat 1936–38 eine Edition zu seiner Fotografie mit dem Titel La photographie n'est pas l'Art herausgegeben, weil er es satt hatte. In den Sechzigern haben alle gesagt, dass Kunst mit Medien keine Kunst sei. Daraufhin haben wir von Werken und nicht von Kunstwerken gesprochen.


Als ich 1989 das Institut für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt am Main gegründet habe, haben mir Maler gesagt: „Sie sind derjenige, der den mechanischen Geist in die Kunst bringt“. Da konnte ich nur erwidern: „wenn Sie gegen den mechanischen Geist sind, müssen Sie auch unten (im Städel) das Klavier entfernen“.


Eines der wiederkehrenden Motive in Ihrem Schaffen kreist um die Kritik der zunehmenden Bedeutung des freien Marktes für die Interpretation von Kunst und ihrer öffentlichen Relevanz. Welche Rolle spielt die Wirtschaft in der ästhetischen Beurteilung der Werke und inwiefern kann sie die interesselose Betrachtung beeinträchtigen?


Man muss davon ausgehen, dass die große Geschichte der Malerei eine Geschichte der Auftragsmalerei war. Daher auch das schöne Buch von Svetlana Alpers mit dem Titel Rembrandt als Unternehmer. Heute hat Auftragskunst etwas Pejoratives. Wann ist die Idee der autonomen Kunst denn aufgekommen? Die Maler waren Auftragnehmer und sie dokumentierten Kirchen- oder Adelsgeschichte, ekklesiastische, militärische oder aristokratische Macht. Selbst hochdotierte Maler wie Jan Vermeer und Diego Velázquez haben sich als „Kunsthandwerker“ Gilden angeschlossen.

Erst in dem Augenblick, als die Auftraggeber im 19. Jahrhundert verschwunden sind, entsteht der freie Markt und der Künstler nennt sich autonom. Van Gogh hatte keinen Auftrag, dann erst war von innerer Notwendigkeit die Rede.


Vom lukrativen und traditionellen Salon de Paris ausgeschlossen sammelten sich 1884 das erste Mal Künstler im „Salon Independant“.


Auf diesem neuen Marktplatz unter Zelten galt: Je mehr Skandal desto mehr Besucher. So war auch der Vorwurf an Manet zu verstehen, sich mit dem Frühstück im Grünen (1863) dem Geschmack der Menge zu ergeben. Tatsächlich kamen bis zu 5.000 Besucher, weil das Bürgertum dort suchte, was man zu Hause nicht zu sehen bekam. Sogar Cezanne imitierte Ingres und malte Haremsdamen. Durch Vulgarität und Obszönität spekulierte man auf den Geschmack der Masse und auf Öffentlichkeit. Von Unabhängigkeit keine Rede.

Dann musste man die Dosis erhöhen und der Künstler, der sich als Anti-Bourgeois darstellt, suchte den Bürger in Erstaunen zu versetzen: épater les bourgeois hieß es in der Poesie – eine unangenehme Unterwerfung des Künstlers.


Das heißt also, der Markt hat eine Radikalisierung hervorgebracht. Man zeigte die absolute Farbe oder ein Bild nur in Rot, Blau und Gelb (Rodtschenko, Reine Farbe Rot, reine Farbe Gelb, reine Farbe Blau, 1921) – ein Reduktionsprogramm. Wollen wir noch ein Jahrhundert der Monochromie? Die Wirklichkeit heute ist so dringlich geworden, dass wir sie zur Kenntnis nehmen müssen.


Sie haben zusammen mit Bruno Latour die bahnbrechende Ausstellung „Iconoclash: Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art“ kuratiert und den dazugehörigen Katalog herausgegeben. Teilen Sie seine These vom Scheitern der Moderne?


Die Moderne ist ein Reduktionsprogramm. Das berühmte Bauhaus-Buch 1926 von Kandinsky heißt Punkt und Linie zu Fläche. Die Moderne Kunst ist nicht abstrakte Kunst, sie ist die Selbstdarstellung der Darstellungsmittel. Man hat den Gegenstand verbannt und gleichzeitig hat man mit Duchamp mit seiner Antikunst den Gegenstand, das Fabrikat und die Fotografie in die Kunst gebracht.


Die ganze moderne Kunst steht unter dem Paradigma der Fotografie und verwechselt bis heute Urheberschaft und Autor. Das sind ständige Copyrightverletzungen.
Interview mit Peter Weibel: Selbstdarstellung

Dass Künstler wie Warhol, der nie ein einziges Bild zustande gebracht hat – es handelt sich um bearbeitete Siebdrucke –, Maler genannt wurden, zeigt die Macht des inkompetenten Marktes: Er nimmt Bilder der Yellow Press, Stars, Unfälle und ist damit erfolgreich. So bedient sich auch Koons.

So wird die Kunst vulgärer und man fragt sich heute – ist es Kunst oder kann man es wegwerfen? Früher hat man das Sublime gesucht, heute möchte man das Gewöhnliche zum Sublimen erklären.


Zum Ikonoklasmus und Bildersturm des IS, wie ist das Bildbewusstsein und die Grausamkeit der Ikonographie zu erklären?

In der westlichen Kultur haben die Medien ihren Auftrag erfüllt, die Menschen dazu zu bringen, die Grausamkeit oder auch möglichst viele Leichen zu genießen. Die Inszenierung der grausamen Bilder machen den IS erfolgreich. IS macht es besser als das Fernsehen, sie haben von Hollywood gelernt, sie sind Konkurrenten im ureigenen Geschäft mit den Bildern; noch dazu mit dem Anspruch, dass es Bilder des Realen sind. Sie verbreiten Angst und Schrecken mit Bildern auf sozialen Medien.

Bilderkrieg ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Das hat der IS erkannt. Man muss sich das vorstellen, die europäischen Medien fungieren praktisch als das Bildministerium des IS. Wenn der Spiegel den syrischen Attentäter, der einen Anschlag auf einen Flughafen machen wollte, auf den Umschlag bringt hat der Attentäter schon alles erreicht. Je schlechter die Tat, desto eher kommst du auf das Cover des Spiegel.

Wir haben uns eine Kultur angedeihen lassen, wo Menschen sich an den Ekel gewöhnt haben. Der IS ist nicht das Andere, das sind wir selber – das ist unser Spiegel. Die Verklärung des Gewöhnlichen wird zur Verklärung des Grausamen.

Das Medium weiß, dass das Publikum vulgarisiert ist. Umsteuern kann man nur, wenn die Bürger, die Subjekte selber sagen: "wir wollen das nicht." Aber heute, in Zeiten, da ich, obwohl ich gar keinen Fernseher habe, Zwangsgebühren zahlen muss – vom Staat legitimiert –, bin ich vollkommen chancenlos, gegen das Fernsehen zu protestieren. Alle sind zwangsvulgarisiert. Das ist die Ethik des Hässlichen der Massenmedien.

Gelten die, zum Beispiel noch von Habermas so grundlegend verteidigten, universalistischen Ideale der Moderne wirklich nicht mehr? Steht uns eine neue Regionalisierung/Tribalisierung der Werte bevor?


Das Problem des Universalismus besteht darin, dass er die Frage der Mitgliedschaft vernachlässigt. Man träumt sozusagen vom Kosmopolitismus, jeder solle Bürger der Erde sein.


Allein durch Sprache, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit ist unser Leben aber auf Mitgliedschaft und Zugehörigkeit aufgebaut. Und wenn ich inkludiert bin, bin ich zugleich auch exkludiert. Wir träumen von einem Club, in dem alle Menschen Mitglieder sind, aber nicht alle Mitglieder im gleichen Club. Sprachen, Religionen, Ethnien et cetera bilden eigene Clubs. Wer nicht Englisch spricht, kann nicht Mitglied eines englischsprachigen Vereins sein. Das ist der Traum des Universalismus. Wir können nur sagen, dass wir alle Menschen sind. Wenn Sie an der Grenze stehen, heißt es, „sind Sie Deutscher oder Ausländer?

Man kann nicht Mitglied von drei Kirchen zugleich sein. Wir propagieren, die Vielfalt der Natur, der Kulturen, der Religion als (Lebens-)Wert. Wer drei Sprachen kann, ist nicht besser als einer, der nur eine Sprache kann. Die Gleichwertigkeit muss erreicht werden, nicht aber die Abschaffung der Mitgliedschaft. Der Traum des Kosmopolitismus ist es, im Sinne eines Weltbürgertums und des Ewigen Friedens (Kant) die Mitgliedschaft abzuschaffen.

Die Welt besteht indes aus Differenzen – Gott sei Dank! Wenn ich mich zu den Dicken zähle und nicht zu den Dünnen, so muss ich mir sagen – und das ist schon schwer genug – die Dicken sind genauso gut wie die Dünnen. Wir haben gerade – in guter Absicht sozusagen – die Tendenz, die Differenz zu schleifen. In Wirklichkeit kann man das aber nicht machen – es gibt Opfer und Täter – es gibt Mörder und Ermordete und wir haben auch die juristische Tendenz auszugleichen, uns unter Umständen mehr um die Mörder, als um die Opfer zu kümmern.


Was wir erreichen können, ist, jede Mitgliedschaft gleichberechtigt anzuerkennen, wenn sie bestimmten Wertidealen entspricht, die eine größere Gruppe für richtig hält. Wir werden nie erreichen, dass alle das für richtig halten. Der Traum des Universalismus des Kosmopolitismus beruht auf Illusionen – der Aufhebung der Mitgliedschaft.

MUSEUM 2.0 Welches Demokratisierungspotential bergen die neuen Medien aus heutiger Sicht betrachtet? Sie haben sich ja diesem Thema unter anderem mit Ihrem Projekt YOU: Das Museum und Web 2.0 und mit dem Aufsatz „Das Museum im Zeitalter von Web 2.0“ gewidmet, und darin programmatisch angekündigt, dass den neuen Technologien die Aufgabe zukomme, die Institution Museum zu demokratisieren.


Vor 30 Jahren hat es ein halbes Dutzend Biennalen gegeben, heute 120. Die Museen waren ein Flaschenhals, wiederholten immer das Gleiche: Europäische und Nordamerikanische Kunst, Klassische Moderne und so weiter. Nur langsam kommen inzwischen auch die Randfiguren dran. Diese Form der Elitebildung funktioniert nicht mehr und da spielen die Biennalen eine entscheidende Rolle.


Ich möchte Besucher haben, die Lernen und das Museum in ein Labor verwandeln, wo man sich auch in einer Lounge entspannen, essen und trinken kann. Das Museum muss ein Denk- und Wissensraum werden, in dem kompetente Leute unterrichten können. Dort kann man zum Beispiel Programmieren lernen. Durch die neuen Technologien haben wir die Möglichkeit das Verhalten des Publikums im Museum zu verändern – nicht nur touristisch Bilder als Trophäen anzuschauen. Heute gibt es interaktive Kunstwerke oder auch VR Technologien, in denen ich mich selbst bewegen und verhalten muss. Museen sollen Lernlabors werden, in denen die Besucher für ihren Besuch, für ihre Weiterbildung bezahlt werden.



Biographie

In seinen zahlreichen Vorträgen und Artikeln publiziert Weibel über zeitgenössische Kunst, Mediengeschichte, Medientheorie, Film, Videokunst und Philosophie. Als Theoretiker und Kurator setzt er sich für eine Kunst und eine Kunstgeschichtsschreibung ein, die Technikgeschichte und Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt. In seiner Funktion als Lehrer an Universitäten und langjähriger Leiter von Institutionen wie der Ars Electronica, Linz, dem Institut für Neue Medien in Frankfurt am Main, und dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe beeinflusst er besonders die europäische Szene der sogenannten Computerkunst durch Konferenzen, Ausstellungen und Publikationen. (Wikipedia)

Professor Dr. h.c. mult. Peter Weibel leitet seit Januar 1999 das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.


Autor: Die Fragen stellten Prof. Federico Vercellone, Università degli Studi di Torino, und Simone Lenz

Copyright: Goethe-Institut



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