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我踏进了傍晚五点的上海静安别墅 | „Villa des Friedens und der Ruhe“

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原标题:《傍晚五点的上海指南(1) 静安别墅》


上海弄堂 (2008-2011) | © btr


傍晚五点是白天与黑夜的交界点。“傍晚五点的上海指南”,是一部在现实地点基础上创作的半虚构微小说及相关摄影或录像作品,致力于在现实与虚构交织的模糊地带多媒介地书写在大城市相通的当代生活体验。


她每天都会穿越这条弄堂两次。早上上班,从威海路地铁站口穿到南京西路;傍晚下班,从南京西路穿回威海路地铁站口。多年来一直如此。


直到初秋的一天,她偶然加班,走进南京西路弄堂门口时,已是夜晚八九点的光景。深蓝色夜空下,一排亮黄色的路灯勾勒出弄堂的景深。往日傍晚家家户户窗口逸出的菜香,此刻换成了投射在窗户上的屏幕光影和偶尔从静谧的房间里中跌落出的琴声。她放慢脚步,从“赶路模式”切换到“散步模式”。这时,原本处于“待机状态”的感觉器官才渐渐苏醒并变得敏锐起来。


练功十八法 | © btr


她就是在这时看见某栋房子外墙上的投影的。白色、闪亮、硕大的宋体字配搭同样白色闪亮硕大的时代新浪漫体(Times New Roman)英文,如纹身般映射在一栋老式红砖石库门建筑的外墙上。或许是这些不断变幻的中英文对照句子的出现方式太过诡异,它们隔了许久,才以文字的形式进入她的读写识别体系。


“你那里下雨了么?”“快要下了,雷声隆隆着呢。”


“今天包了馄饨,要来一碗吗?”“谢谢不用了,儿子生日晚饭要上馆子。”


“隔壁张家姆妈说帮你收了一个快递,记得有空去拿。”“好的好的。”


她又看了几段,才意识到投影来自斜对面的底层花园,内容则是一些聊天般的日常话语。根据内容推测,像是弄堂邻里之间发生的俗常对话,但对于住在公寓大楼里、弄不清邻居是男是女(唯一能穿透空间区隔的惟有Wifi)的她而言,这反倒代表着一种属于过去年代、已然逝去的人际关系范式。那时候,私人空间的分界线还不那么泾渭分明,人与人还会在线下点赞,互赠闻得见或吃得到的实体礼物。


专修各类钟表,夜间修车请按铃 | © btr


循着投影的光束,她望向花园方向:原来那是一间画廊。她从未注意到这里有画廊。穿过花园、跨进屋内,是上海传统的石库门屋改造而成的艺术空间:打蜡的地板、挑高的屋顶、黑色的华经线、釉色的木门都在,只是墙壁刷成了白色。那儿正举行一个摄影艺术展,照片上是细绳牵着的小猫、午后阳光下交谈的老人、垂落的繁花、裁缝店、门口挂着毛主席头像的旧货店、褪色的双喜字、沐浴在阳光里的三个光明牌牛奶盒……显然都是在这条弄堂里拍的。


本处有老式红木家具出售  | © btr


“都是在这儿拍的,”身后画廊老板的声音证实了她的猜测。老板热情地向她介绍那位东欧艺术家如何着迷于这条弄堂,又如何花了几个星期拍下这些照片。不可思议,她一边重新打量着这些照片,一边这样想,倒不是摄影技术有多了得,而是那种望向俗常事物的目光及视角吸引了她。她隐约觉得,当她把目光从这些照片上移开、重新注视身边这条弄堂及其中的种种细节时,一切会变得全然不同,就好像感觉被重新启动、习以为常的世界就此变得焕然一新似的。


此处不准停车 | © btr


回到家,她打开手机地图,想找找看这条她每天穿越的弄堂。但地图上只有马路、公园、电影院、地铁线路、大型楼盘和地标式建筑……弄堂所在的位置,除了一些浅色的方块图形外,是一片空白。有人生活在地图上的这些空白里啊,她不知怎么得出了这么个让自己也吓了一跳的结论。


她决定在接下来的周末去那条弄堂好好走一走——把它当作目的地,而不仅仅是一条仅供穿越的捷径。她要好好看一看久违的弄堂生活。那时她将发现这弄堂竟有个名字,叫“静安别墅”。她将向一位老者讨教,老人将告诉她这大概是因为这里比较宽阔、楼房间距大,比较像别墅区的缘故。那时候,她将会有一点点伤感地按“别墅”的字面意思(别,另一种;墅,房屋)引伸出去想:这些在不断扩张的高楼大厦的夹缝里幸存下来的弄堂,已经成了代表少数派的“另一种建筑”了吧。


指南:找一条地图上没有标示的弄堂,选择一天里的几个不同时段(乃至一年里的不同季节)在其中闲逛。拍摄有意思的细节,记录听见的声音和闻到的气味,若可能,找弄堂里的居民聊天。根据获得的素材,想象一个可能发生在那里的故事。


上海弄堂 (2008-2011) | © btr


作者btr,作家、译者、自由创作人。出版有《迷走·神经》等。译有《孤独及其所创造的》和《冬日笔记》等。最新作品《意思意思》于2017年5月由中信出版社出版。


版权:歌德学院(中国)


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Blaue Stunde in Shanghai I:

„Villa des Friedens und der Ruhe“


Gassen in Shanghai (2008-2011) | © btr


Um fünf Uhr abends verläuft die Grenze zwischen Tag und Nacht. Die Reihe „Blaue Stunde in Shanghai“ besteht aus halb fiktiven Minigeschichten von realen Orten und wird mit Fotos und Videos illustriert. Es geht darum in der Grauzone zwischen Realität und Fiktion das moderne Lebensgefühl in einer Großstadt multimedial darzustellen.


Zweimal täglich kam sie durch diese Gasse. Morgens auf dem Weg zur Arbeit, wenn sie vom U-Bahn-Ausgang Weihai Road zur Nanjing West Road lief. Nach Feierabend, wenn sie von der Nanjing West Road kommend wieder zur U-Bahn an der Weihai Road querte. Seit vielen Jahren, immer derselbe Weg.


Bis zu dem Tag Anfang Herbst, an dem sie ausnahmsweise Überstunden gemacht hatte. Als sie zwischen acht und neun den Eingang zur Gasse an der Nanjing West Road nahm, herrschte hier bereits eine nächtliche Atmosphäre. Dort, wo normalerweise am frühen Abend Essensdüfte aus den Fenstern stiegen, sah man nun durch die Scheiben den Schein der Bildschirme und hier und da drang der Klang einer chinesischen Zither aus einer stillen Kammer. Sie verlangsamte ihren Schritt, wechselte vom Eil- in den Schlendermodus. Erst allmählich wurden ihre auf Standby gestellten Sinnesorgane wieder wach.


Die achtzehn Übungen des Qigong | © btr


Nun, da ihre Sinne geschärft waren, fiel ihr Blick auf eine Wandprojektion an einer der Hauswände. Weiß leuchtende, große Schriftzeichen des Typs Songti begleitet von ebenso weiß leuchtenden, großen englischen Schriftzügen in Times New Roman. Wie eine Tätowierung legte sich die Leuchtschrift auf die dunkelrot geziegelte Außenmauer des alten Shanghaier Shikumen-Gebäudes. Vielleicht war der Effekt der ständig wechselnden chinesisch-englischen Satzpaare einfach zu ungewöhnlich, jedenfalls dauerte es eine Weile bis die Wörter in ihrem sprachlichen Erkennungssystem angekommen waren.


„Regnet es bei euch schon?“ „Es geht gleich los, man hört schon das Donnergrollen.“


„Ich habe Dumplings gemacht, magst du eine Schüssel?“ „Nein danke, mein Sohn hat doch Geburtstag, wir gehen abends noch zum Essen.“


„Mutter Zhang von nebenan hat für dich ein Paket angenommen, vergiss nicht, es beizeiten abzuholen.“ „Ja, ist gut.“


Sie las noch ein paar Sätze weiter. Dann fiel ihr auf, dass die Projektion aus einem Vorgarten schräg gegenüber kam. Inhaltlich ging es um Alltagsgespräche im Plauderton. Alltägliche Wortwechsel wie sie in der Nachbarschaft traditioneller Shanghaier Gassen üblich waren. Doch für sie, die in einem großen Appartementhaus wohnte und nicht einmal wusste, ob ihr nächster Nachbar ein Mann oder eine Frau war (nur das W-Lan vermochte es noch räumliche Trennungen zu überwinden), standen die Satzfetzen für eine Zeit, die der Vergangenheit angehörte, für längst vergessene soziale Umgangsformen. Damals waren die Grenzen der Privatsphäre noch nicht so klar gezogen. Die Menschen hatten noch offline Smileys verteilt, machten Geschenke zum Anfassen, die man riechen und schmecken konnte.


Reparatur aller Arten von Uhren bei Reparaturen außerhalb der Öffnungszeiten bitte klingeln | © btr


Den Lichtkegel zurückverfolgend blickte sie in Richtung des Gärtchens: Die Projektion schien aus einer Galerie zu kommen, einer Galerie, die sie zuvor nie bemerkt hatte. Sie durchquerte den Garten, betrat das Gebäude und fand sich in einem traditionellen Shanghaier Shikumen-Haus wieder, das man in einen Kunstraum umgebaut hatte: Gewachste Böden, ein offener Raum bis in den Dachstuhl, die dünne Holzleiste, die traditionell auf Augenhöhe angebracht war, um dort Bilder aufzuhängen und lackierte Türen, nur die Wände waren weiß gestrichen und zeigten eine Fotoausstellung. Auf den Bildern sah man Katzen an der Leine, Senioren bei einem Schwätzchen in der Nachmittagssonne, schwer herabhängende Blütenzweige, ein Schneideratelier, einen Gebrauchtwarenladen mit Mao-Portrait über der Tür, einen verblichenen Scherenschnitt der Schriftzeichen für doppeltes Glück und drei Milchtüten der chinesischen Marke Bright Dairy in der prallen Sonne. Offensichtlich alles Motive, die in der Gasse fotografiert worden waren. 


Verkauf von klassischen Mahagonimöbeln | © btr


„Alles hier fotografiert“, bestätigte die Stimme des sich von hinten nähernden Galeriebesitzers ihre Vermutung. Begeistert erzählte ihr der Chef der Galerie, wie sich der osteuropäische Künstler in die Gasse verliebt hatte und sich mehrere Wochen Zeit nahm, um diese Aufnahmen zu machen. Fasziniert betrachtete sie die Fotos erneut. Nicht dass die Technik der Fotografien besonders raffiniert gewesen wäre, dachte sie, es war der Blick für die alltäglichen Dinge, die besondere Perspektive, die sie anzog. Intuitiv hatte sie das Gefühl, dass nun alles wie verwandelt war, als sie ihren Blick von den Bildern löste, um ihn wieder auf die Gasse mit ihren vielen Einzelheiten zu richten. Als wäre alles auf Anfang gesetzt, so dass sich ihr die gewohnte Welt in einem ganz neuen Licht zeigte. 


Parken verboten | © btr


Zuhause angekommen öffnete sie den Kartendienst auf ihrem Smartphone, um darauf die Gasse ausfindig zu machen, die sie Tag für Tag durchquerte. Doch der Stadtplan zeigte nur Straßen, Parks, Kinos und U-Bahnlinien an, große Gebäudekomplexe oder Landmark Buildings. Dort wo sich die Gasse befinden musste, war abgesehen von ein paar farblosen Rechtecken nur Leere. Und doch gab es Menschen, die in diesen Leerräumen des Stadtplans lebten – eine verstörende Erkenntnis, die ihr da plötzlich in den Sinn kam. 


Sie beschloss die Gasse an den kommenden Wochenenden genauer zu erkunden, sie als Zielort anstatt lediglich als eine von ihr passierte Abkürzung zu betrachten. Sie wollte eintauchen in ein Gassentreiben, das für sie längst in weite Ferne gerückt war. Auf ihren Streifzügen sollte sie entdecken, dass die Gasse den Namen Villa des Friedens und der Ruhe (静安别墅) trug. Sie würde einen alten Mann nach dem Grund fragen und er würde vermuten, der Name sei auf die Weitläufigkeit des Ortes, die relativ weit auseinanderliegenden Häuser und die Ähnlichkeit mit einem Villenviertel zurückzuführen. Etwas melancholisch würde sie über die wörtliche Bedeutung der zwei Schriftzeichen für „Villa“ nachdenken: „bie-shu“ (别墅), das „andere Haus“. Tatsächlich standen die alten Shanghaier Gassen, die in den Zwischenräumen der sich permanent ausdehnenden Wolkenkratzer überlebt hatten, inzwischen für rar gewordene „andersartige Gebäude“.


Tipp: Finde eine Gasse, die nicht auf der Karte verzeichnet ist und flaniere zu verschiedene Tageszeiten (oder auch zu verschiedenen Jahreszeiten innerhalb eines Jahres) durch das Sträßchen. Fotografiere Details, die dir interessant erscheinen. Zeichne die Geräusche auf, die du hörst, und die Gerüche, die du wahrnimmst. Unterhalte dich mit den Anwohnern, wenn sich die Gelegenheit bietet. Und hast du genügend Material gesammelt, denke die eine Geschichte aus, die sich hier ereignet haben könnte.


Gassen in Shanghai (2008-2011) | © btr


Autor: btr, Autor, Übersetzer und freier Kreativer, veröffentlichte unter anderem die Kurzgeschichtensammlung Vagus Nerve (迷走·神经) und übersetzte „The Invention of Solitude“ und „Winter Journal“ von Paul Auster. Sein neuestes Buch „Petite Mort“ (意思意思) erschien im Mai 2017 bei CITIC Publishing Group.


Übersetzung: Julia Buddeberg (aus dem Chinesischen)
Copyright: Goethe-Institut China
Januar 2018



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