Kohlebergbau im Ruhrgebiet – Das Ende einer Ära Feierabend
Fast 150 Jahre Bergbau, über 300 Millionen Tonnen Steinkohle, zu Bestzeiten 4.200 Kumpel, vorbei. Schon im September wurde der Regelbetrieb in Bottrop eingestellt, am 21.12.2018 wurde in der Zeche Prosper-Haniel die letzte Steinkohle geholt; ganz feierlich, Bundespräsident Steinmeier kam auch. Damit schloss die letzte Zeche im Ruhrgebiet.
Es ist das Ende einer Ära und so auch der besonderen Kumpel-Kultur der Bergmänner. Was hat es damit auf sich, und ist der Niedergang so traurig wie oft beklagt? Eine Reise und Gespräche unter Tage.
Von Lisa Neal
Grubenfahrt
Prosper V, Schacht 10, Juni 2018
„Glückauf!“ | © wikipedia.org
Statt „Hallo“ heißt es „Glückauf“ an der Pforte, dann gibt es Kaffee und eine Einweisung beim Ankleiden. An Jeans und T-Shirt ist unter Tage nicht zu denken. „Kannste knicken, bisse sofort verschwitzt und dreckich“, erklärt einer der Kumpel. Da unten würden es zum Teil über 40 Grad. Die Bergmannskluft ist nicht für Frauen gemacht, die taubenblaue Feinrippunterhose passt dreimal um den Leib. Macht nichts. Dazu ein blau-weißes Nadelstreifenhemd, weiße Hose und passende Jacke aus dickem Stoff, Halsbändchen, Helm. Fertig zur Ausfahrt.
Die stahlbekappten Schuhe und Knieschoner wiegen schwer, der Gang wird dadurch breitbeinig. Marsch zum Abholen des Selbstretters (Atemschutzmaske) und der Stirnlampe. Die ist so wichtig wie Sauerstoff: „Ohne Licht, armer Wicht“, sagt der Kumpel an der Ausgabe und grinst. Durch die weiß gekachelten Gänge stiefeln wir zum Förderkorb. Ein rechteckiger Kasten, vergitterte blickdurchlässige Wände, befestigt an einem Stahlseil mit dem Durchmesser einer Jungbirke. Dann ist er voll, 40 Kumpels, verschieden alt, groß, schlank, alle sind leise. Schichtbeginn.
Der Korb rast mit 12 Metern pro Sekunde in den Höllenschlund hinab. Immer unheimlicher und unerträglicher wird die lichtfressende Schwärze. Ankunft auf der Abbaustelle „Sohle 7“, die liegt auf 1.229 Meter Teufe (Tiefe).
Eine Welt, in der es strenger zugeht als beim Militär
„Hier stinkt’s, hier is dreckig, hier is laut“, sagt Heinrich (51), früher Bergmann, mittlerweile Unternehmer. „Da wusste ich sofort, da will ich hin. Das wird ein Abenteuer.“ 14 Jahre lang arbeitete er in der Bergbau-Forschung und kannte jede Zeche. „Der Bergbaubetrieb war zu meiner Zeit vor 30 Jahren noch strenger als das Militär.“ Es war eine archaische Welt, in der eine strenge Rangordnung galt.
„Es zählte nur, was dein Steiger (Anm. d. Red.: Aufsichtsperson unter Tage) sagte. Die Männer sollten malochen, richtig reinklotzen und nicht zu viel eigenständig denken.“ Weil die Arbeit so gefährlich war, mussten sie sich unter Tage aufeinander verlassen können. Sie brauchten einander, das eine Leben hing vom anderen ab. „Wehe, du hattest ma watt verschissen. Einmal habe ich erlebt, wie ein Kumpel Mist gebaut hat: Der Steiger pinkelte ihm zur Strafe ans Bein“, erinnert sich Heinrich.
Joseph (56) war ein ranghoher Reviersteiger. Er hat niemanden gedemütigt. Im Gegenteil: Er wusste genau, wer von seiner „Mannschaft“ aus 68 Kumpels verheiratet war, am Wochenende bei den Kindern sein wollte oder gerne die frühen Schichten übernahm. Joseph war immer bereit, telefonierte um 24 Uhr das letzte und um vier Uhr früh das erste Mal mit den Schichtleitern. „Wir waren alle per Du, aber die Arbeit wurde so gemacht, wie ich das gesagt habe.“ Gehorsam wurde neben Leistung auf den Lohnschecks bedacht.
© wikipedia.org
Sie brauchten einander, das eine Leben hing vom anderen ab.
„Wir waren zwar Kumpels, aber nicht gleich Freunde.“ Joseph arbeitete fast 20 Jahre lang als Bergmann. „Wir organisierten Fahrgemeinschaften und spielten am Wochenende Fußball. Wir hielten zusammen.“
Die viel beschworene Arbeitsmentalität der Kumpels verschwinde mit ihnen. Kumpel, wie sich die Bergmänner untereinander nennen, sei eine Haltung: füreinander einstehen, sich aufeinander verlassen können. Das dürfe der Region nicht verloren gehen, fordern viele Ehemalige.
Heinrich sieht das anders: „Ich kann diese Kumpel-Folklore nicht mehr hören“, schimpft er. „Diese Heldenmacherei kam erst mit dem Kohle-Niedergang Anfang der Sechziger.“ Es war harte Arbeit unter schweren Bedingungen. „Und von wegen Bergbau als Schmelztiegel – die Leute waren zum Teil sehr rechts in ihrer politischen Gesinnung. Kaum einen Meter in der Erde, galten die normalen Regeln nicht mehr. Das vergessen viele hier, wenn sie der Kumpel-Zeit nachtrauern.“
Was es bedeutet hat, ein Bergmann zu sein
Auf der Strecke zum Streb:
Wir klettern in einen schmalen Zug, der ein bisschen aussieht wie eine Schwebebahn, er soll uns durch das Gängelabyrinth zum Streb (unterirdischer Gang, in dem die Kohle abgebaut wird) bringen. Eine langsame Achterbahnfahrt durch die Nacht. Irgendwo zischt und rattert immer etwas. Es wird lauter, heißer und heißer. Die Poren sind durch die Hitze geweitet und saugen auf, was die Umgebung hergibt. Ruß, Staub, Schweiß. Begegnet man sich unter Tage, sagt man nur „Auf“ statt „Glückauf“. Es riecht nach Maschinenöl und modrig wie in Londoner U-Bahn-Schächten.
Wer hier jeden Tag zur Schicht einfuhr, musste etwas Gutes in den extremen Bedingungen finden. „Bergmänner haben viel Geld verdient“, sagt Heinrich. Jeden Tag die gleiche Arbeit, aber immer anders und an einer neuen Stelle im Streb. „Dort, wo wir hinkamen, war vor uns noch kein Mensch“, erzählt Joseph. Sie waren fasziniert. Und über allem der Berg und immer die Gefahr, verschüttet zu werden. Eine Steinplatte von der Größe eines Lkws hat Joseph einmal beinahe erwischt. Nur der Luftzug des stürzenden Steins drückte ihn gerade noch weg. Einen Schritt weiter vor – und der Helm hätte auch nicht mehr geholfen.
Der körperliche Verschleiß war so hoch, dass viele mit fünfzig in Frührente gingen. Gemarterte Knochen vom gebückten Gang und schweren Werkzeugen, Staublungen, Schwierigkeiten, sich über Tage wieder einzufinden.
Das Kohlehobeln klingt, als würden Knochen brechen
Wir sind „vor Ort“ angekommen, dort, wo im Streb abgebaut wird. Es ist so eng, dass man, um nach ganz vorne zu gelangen, in den Gang hineinkriechen muss. Helm und Knieschoner ergeben immer mehr Sinn. Bläulicher Schweiß klebt im Nacken, die Luft ist zum Ohnmächtigwerden.
Mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 90 Meter pro Minute schält ein Hobel die Kohle von der Wand ab. Es klingt, als würde er Knochen brechen.
Das Gesicht des Kumpels am Flöz (Kohleschicht im Berg) ist ruß- und schweißverschmiert. Er ist durch Stahlplatten vor herabfallendem Gestein geschützt. Oben, über Tage, sitzen andere Kumpels vor ihren Monitoren und überprüfen die Maschinen und das „Wetter“ (Luft unter Tage). Bevor es den Kohlehobel gab, brachen die Kumpels mit einem Presslufthammer (um die 14 Kilo) und davor mit einem Hammer („Mottek“) und Eisen in das Flöz, um die Kohle zu zerkleinern. Ein alter Mottek liegt noch da – für die Besucher. Halten kann den keiner lange.
Vom Streb landet die Kohle mitsamt Sandstein und Tonschiefer auf einem Transportband. Manche Kumpel werfen sich bäuchlings auf diese Bänder, um Wege abzukürzen. Am Füllort schütten die Bänder die Kohle in einen „Skip“, ein geschlossenes batterieförmiges Gefäß, das über den Förderschacht nach oben gezogen wird. Bis zu 1.000 Tonnen Kohle pro Stunde werden so nach oben befördert. Dann wird die Kohle gemischt, gesiebt und vom Gestein frei gewaschen. Das alles ist nun Geschichte.
Es ist kein Ausstieg aus ökologischen Gründen
Vielen Kumpels, die bis zuletzt in der Zeche arbeiteten, fällt der Abschied schwer. Joseph wünscht sich den 4. Dezember als Feiertag im Ruhrgebiet. Es ist der Namenstag ihrer Schutzheiligen Barbara, für die Kumpels ein Tag zum ausgelassenen Feiern. Joseph hat eine Petition unterschrieben, die sich für den Festtag einsetzt. Damit die Erinnerung bleibt.
In den letzten Tagen der Zechen lassen Zeitungen die Bergmänner hochleben, das Ruhrgebiet schwelgt offiziell in Nostalgie, und allzu viele loben die „kreuzbraven“ Kumpels. Die große Umweltbelastung, die durch den Steinkohleabbau verursacht wurde, wird nur am Rande erwähnt. Das zeigt ein grundlegendes Element des Abschieds: Es ist kein Ausstieg aus ökologischen Gründen, sondern ein pragmatischer Schritt. Einfach weil der Steinkohleabbau in Deutschland zu teuer geworden ist.
Ruhrgebiet | © wikipedia.org
Was bleibt, ist nicht die Angst vor Identitätsverlust in der Region. „Was wirklich bleiben wird, sind die Ewigkeitsaufgaben“, sagt Heinrich. Dazu gehört das ständige Abpumpen des Grubenwassers, um zu verhindern, dass es mit dem Trinkwasser in Berührung kommt. Kosten: jährlich rund 250 bis 300 Millionen Euro.
Nach der Feier mit Steinmeier wird die Grube bei Schacht 10 ausgeräumt. Der Steinkohleabbau ist damit zwar in Deutschland Geschichte, der Bedarf hierzulande aber nicht gestillt. Etwa 51 Millionen Tonnen Steinkohle und Steinkohlekoks wurden 2017 importiert, zum Teil aus Ländern wie Kolumbien und Russland, in denen viel geringere Sicherheitsstandards gelten.
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