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„Von Gleichberechtigung können wir noch nicht reden.“

Thomas Lang 北京德国文化中心歌德学院
2024-09-02

Chinesischer Turm im Englischen Garten, unsplash.com, Dimitry Anikin @anikinearthwalker


Die Sinologin und Autorin Dr. Ballin hat mit deutsch-chinesischen Kulturbeziehungen befasst und spricht im Interview über den historischen europäischen Kolonialismus sowie wechselseitige Bilder und Vorurteile zwischen Europa und China.


Der Kaffee simmert auf einem Stövchen, Kuchen steht bereit. Bis zur Decke türmen sich die Bücher in dem Raum, in dem ich die Wahlmünchnerin Dr. Ursula Ballin treffe. Ihr Arbeitstisch ist mit hohen Stapeln an Papieren bedeckt, zwischen denen der geschlossene Laptop beinah nur durch das Blinken der Diode am Ladekabel auffällt.

Ich bin gerade durch den Englischen Garten geradelt und beginne unser Gespräch mit einer Frage nach dem über 200 Jahre alten touristischen Wahrzeichen des Parks, dem Chinesischen Turm. Eine „grobe Kopie“ nennt die Sinologin den Holzbau. Der englische Architekt Chambers, der im 18. Jahrhundert China bereiste, hatte in den Kew Gardens einen Schmuckbau im chinesischen Stil errichten lassen. Die Pagode diente als Vorbild für das bayerische Gebäude – die Chinoiserie war in Mode.

Ursula Ballin kommt aus dem Norden Deutschlands. In den Siebzigerjahren zog sie nach München und studierte Sinologie, von 1980-2001 lebte sie in China. So unterschiedliche Orte wie Peking, Hangzhou, Hongkong und schließlich Taipeh zählen zu den Stationen ihres Aufenthaltes. Sie arbeitete lange an der Academia Sinica über neue chinesische Geschichte. Ich frage sie, wie sie China in dieser Zeit erlebt hat. „Festland-China oder Taiwan?“, fragt sie zurück. „Das war damals ein großer Unterschied.“ Die Volksrepublik sei damals noch eines der ärmsten Länder der Erde gewesen. „In Peking, immerhin die Hauptstadt des volkreichsten Staates der Welt, gingen um neun Uhr abends die Lichter aus. Es gab eine einzige Bar im Dachgarten des Pekinghotels, aber wir wohnten alle im Freundschaftshotel.“

Dieses hatte seinen Namen zur Ehre der chinesisch-russischen Freundschaft erhalten. Ausländer konnten nicht wie heute einfach wohnen, wo es ihnen gefiel. „Chinesische Bekannte wagten es selten, uns nach Hause einzuladen.“ Die Omnipräsenz des Militärs fand Ballin unheimlich. Die fremdenfeindliche Kulturrevolution war noch stark spürbar. Aber im damaligen Taiwan sah es nicht viel anders aus. In den Achtzigern kam es dort zur Zeit Chiang Ching-kuos zu einem unblutigen politischen Wandel. Dass es dabei nicht zu einem Blutvergießen kam, beeindruckte Ballin.

Von ihren taiwanesischen Kommilitonen in den 70ern erzählt sie, dass diese größtenteils in einem bestimmten Münchner Studentenwohnheim gelebt hätten. Den Hang, unter sich zu bleiben, kritisiert sie als wenig förderlich für den Spracherwerb. Im Unterschied zu dem der bewegten deutschen Studenten jener Jahre war der Umgang der Chinesen miteinander recht förmlich. Es habe wenig Spontaneität gegeben, sagt Ballin. „Daran merkst du, dass das ein sehr altes Kulturvolk ist.“

Arroganz gegenüber der Europäerin hat sie in ihren 20 China-Jahren hin und wieder erfahren, öfter schiere Unkenntnis. Einzelne regten sich auf über Menschen, die kein Chinesisch sprechen. Beim Erdbeben 1999 habe sich eine Frau gewundert, dass Ballin den Taiwanern Blut spenden könne. Auch die Diskriminierung „eurasischer Mischlinge“ habe sie erlebt. Demgegenüber stehen die alten, von kolonialistischen Interessen, aber auch Ängsten geprägten Vorurteile gegenüber Chinesen. Um Übergriffe zu rechtfertigen, stellte man sie als brutal und faul dar. „Rassismus und Vorurteile gibt es hier wie dort“, sagt die Sinologin nachdenklich, „das ist ein trauriges Kapitel“.

Ballin beschreibt mir die geschichtliche Entwicklung des chinesisch-deutschen Verhältnisses. Das Chinabild sei in der frühen Neuzeit positiv gewesen. Das im 17. Jahrhundert von Krieg und Pest gezeichnete, despotisch regierte Europa habe China – durch die Brille der dort missionierenden Jesuiten – als ein durch die Jahrtausende stabiles Reich mit weisen Herrschern und einer als „natürliche Religion“ verstandenen Säkularethik betrachtet. Der Philosoph Leibniz habe das Bild des Gelehrtenstaats für seinen Kampf gegen Absolutismus und Kirche eingesetzt.

Im 19. Jahrhundert wandte sich das Bild von China dann ins Negative. Aus der Stabilität wurde Stillstand. Nach dem ersten Opiumkrieg, 1839 – 1842, erzwangen die Briten die Öffnung der chinesischen Märkte. Die Chinesen seien von den Europäern „geschurigelt“ worden, sagt Ballin. „Sie begannen, das Land unter sich aufzuteilen, bis den Chinesen der Geduldsfaden riss.“

Damit kommt Ballin auf den Boxeraufstand bzw. die Yihetuan-Bewegung von 1900 zu sprechen, für die sie offenbare Sympathie hegt. „Mit etwas mehr Entschlossenheit hätten die Yihetuan ihren Aufstand locker zu Ende bringen können“, sagt sie. Doch am Hofe Cixis setzten sich aber die warnenden Stimmen gegen eine Kriegserklärung an alle elf im Land präsenten Fremdstaaten durch. Der Aufstand scheiterte. Aus Ballins Sicht war er keineswegs so unberechtigt, wie die siegreichen Europäer ihn darstellten.

Wie eine Antithese zur „gelben Gefahr“, die vielfach für Europa heraufbeschworen wurde, steht China im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aber auch für eine Sehnsucht des Westens nach der „Seele“ des Fernen Ostens. Vermittelt durch die Übersetzungen des Missionars und Sinologen Richard Wilhelm lasen viele deutsche Intellektuelle erstmals klassische chinesische Texte wie das Daodejing oder auch das Yijing. Flugs wurde die „östliche Weisheit“ zum positiven Klischee der Gegenkultur. „Dass die Esoteriker sich diese unter den Nagel gerissen haben, war und ist ein Missverständnis“, sagt Ballin.

Wilhelms Arbeit in China lobt sie, weil er sich nicht ins Schema der meisten protestantischen Missionare seiner Zeit fügte, die Ballin als „Handlanger des Kolonialimperialismus“ bezeichnet. Im Unterschied zur gängigen Vorgehensweise habe Wilhelm an seiner Schule Unterricht auf Chinesisch erteilen lassen. Damit konnten seine Schüler auf chinesische Hochschulen übergehen. Richard Wilhelm nahm ab 1925 bis zu seinem frühen Tod 1930 den „Lehrauftrag für Chinakunde und Chinaforschung“ an der Frankfurter Universität wahr. Seinen Versuch, „ein Verständnis für China herbeizuführen und zu fördern“ wertet die Sinologin als sehr erfolgreich.

Ein besonderes Kapitel in der Geschichte des deutsch-chinesischen Verhältnisses bildet der 2. Weltkrieg. Als 1938 Österreich an Nazi-Deutschland „angeschlossen“ wurde, mussten auch von dort zahlreiche Juden fliehen. Der chinesische Generalkonsul in Wien stellte auch nach 1938 noch Visa für die Ausreise aus. Schanghai wurde für die jüdischen Flüchtlinge zur letzten Zuflucht. Über 20.000 Juden entkamen so Verfolgung und Tod. Die meisten von ihnen zogen nach dem Krieg weiter in die USA oder nach Palästina. Das jüdische Leben in China ist allerdings über tausend Jahre alt. Traditionell, betont Ballin, hätten beide alten Kulturen größten Wert auf Gelehrsamkeit und weniger auf das Kriegerische gelegt – was sich heute leider geändert habe.

Im heutigen Verhältnis zwischen Deutschland und China sieht Ballin alte Ressentiments wiederaufleben. Aufgrund der großen weltwirtschaftlichen Bedeutung Chinas sei auch die europäische Furcht vor dem Land zurückgekehrt. Heute gälten die einst „faulen“ Chinesen allerdings eher als zu agil. Auch die gegenwärtige Corona-Pandemie trage zu Verschlechterung bei. Erneut neige man bei uns zur Bevormundung. Ein gegenseitiges Verständnis „auf Augenhöhe“ sei noch immer weit entfernt.

Doch der heutige Breitentourismus führe dazu, dass mehr Menschen das jeweils andere Land kennen lernten. Manche deutsche Touristen wollten zwar „bloß mal“ in ein echtes chinesisches Restaurant gehen. Aber bei Menschen, die Wert auf Bildung legten, sei ein tieferes Interesse spürbar. Chinesische Touristen zeigten sich häufig angetan von der Vielfalt Europas mit seinen unterschiedlichen regionalen Traditionen. „Das freut mich als Europäerin sehr.“


Von einem gleichberechtigten Diskurs könne man zwar noch lange nicht reden“, sagt Ursula Ballin. Allerdings sieht sie Interesse auf beiden Seiten. „Selbst, wenn hüben wie drüben Einige nicht von ihren Ressentiments lassen wollen“, bemerkt sie augenzwinkernd, „zeigt das ja, dass wir letztlich nicht gar so verschieden sind.“



Autor: Thomas Lang ist Schriftsteller. Er hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert und lebt seit 1997 in München. Für ihn ist München mehr als Schicki und Bussi: eine Stadt wie ein Tequila - man muss den Wurm darin ansehen, um sagen zu können, was sie taugt. Langs neuer Roman Freinacht (Berlin Verlag) erscheint im August 2019.
Copyright: Dieser Text wurde vom Goethe-Institut China unter der Lizenz Creative Commons BY-SA 3.0 DE veröffentlicht.





Stadt- und Landgeschichten

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Stadt- und Landgeschichten aus Deutschland und China über besondere Verbindungen zwischen Menschen und Orten.



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