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Angst-Studie: Was fürchten die Deutschen am meisten?

Ralf Bosen 北京德国文化中心歌德学院
2024-09-02

© unsplash.com


Eine jährliche Studie hat die Deutschen erneut gefragt, was sie am meisten fürchten. Nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie stehen Gesundheitsprobleme überraschenderweise nicht ganz oben auf der Liste.


Autor: Ralf Bosen



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Jahrelang stand die sogenannte 'Schwarze Null' für einen ausgeglichen öffentlichen Haushalt ohne Neuverschuldung. Sie galt als Stolz und Aushängeschild der Bundesregierung. Manchen Bürgern gab sie das beruhigende Gefühl, in einem finanziell gesunden Land zu leben. Bis die Corona-Pandemie die Gesellschaft wie ein Tsunami überrollte und den deutschen Zahlenfetisch förmlich pulverisierte.


Seitdem macht Deutschland Schulden wie nie. Mitte April brachte der Bundestag einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr auf den Weg, mit dem Kredite in Höhe von insgesamt 240 Milliarden Euro aufgenommen werden können. Ein Rekordwert. Die Gesamtverschuldung Deutschlands stieg mittlerweile auf 2200 Milliarden Euro, ebenfalls ein Allzeithoch. Ein Ende des Schuldenexzesses ist nicht absehbar.



Alptraum Steuererhöhungen und Leistungskürzungen


Die ungewohnte Staatsverschuldung verschreckt viele Deutsche. Besonders fürchten sie, dass ihnen der Staat zur Schuldentilgung tief in die Tasche greifen wird. Das hat die R+V-Versicherung in ihrer Langzeitstudie "Die Ängste der Deutschen 2021" herausgefunden. Sie ist eine der größten Versicherungsgesellschaften Deutschlands. Seit 1992 ermittelt sie die größten Ängste der Deutschen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit. Schließlich gehören Furcht und Sorge zum Geschäftsmodell von Versicherungen. In diesem Jahr befragten ihre Forscher vom 25. Mai bis 4. Juli 2400 Männer und Frauen im Alter ab 14 Jahren.

 


"Der Schuldenberg, der sich bei Bund, Ländern und Kommunen zur Bewältigung der Corona-Pandemie aufgetürmt hat, bereitet den Deutschen in diesem Jahr die größten Sorgen", sagt Brigitte Römstedt, Leiterin des R+V-Infocenters, das für die Forschungsergebnisse zuständig ist. Demnach haben 53 Prozent der Deutschen Angst davor, dass der Staat wegen der Schuldenlast aus der Corona-Krise dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt – Platz eins der Umfrage.


Dagegen kommt die Furcht vor schweren Erkrankungen auch durch Corona-Infektionen mit 35 Prozent nur auf Platz 14 der Angst-Skala. Keine Überraschung für Studienleiterin Römstedt: "Auch im vergangenen Jahr hatte nur jeder dritte Deutsche Angst vor einer Infektion. Und damals gab es noch nicht mal Impfstoff. Krankheit schiebt man gerne von sich weg. Das kennen wir alle. Aber wenn es ans Geld geht, dann sind die Ängste auch nach meiner Erfahrung immer sehr groß", sagt Römstedt im DW-Gespräch.



Totgeschwiegenes Thema im Wahlkampf


Der Politikwissenschaftler Professor Manfred G. Schmidt geht davon aus, dass die Rechnung für die Corona-Schulden erst nach der Bundestagswahl, die am 26. September stattfindet, präsentiert wird. Die Angst vor den Folge-Kosten ist seiner Ansicht nach nicht vom Bundestagswahlkampf angeheizt worden. "Die Parteien haben das Thema erfolgreich totgeschwiegen. Sie fürchten, dass da Brennstoff liegt, explosives Material. Der Effekt wird sein, dass dieser Zusammenhang bei der Bundestagswahl keine nennenswerte Rolle spielt", sagt Schmidt im DW-Gespräch voraus. Der Professor von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg berät die R+V-Versicherung seit Jahren bei der Auswertung ihrer Ängste-Umfrage.

 


Auch auf den Plätze zwei und drei der Studie geht es ums Geld. Jeder zweite Deutsche befürchtet, dass die Lebenshaltungskosten ansteigen werden (Vorjahr: 51 Prozent) und, dass die Steuerzahler für die EU-Schuldenkrise zur Kasse gebeten werden (Vorjahr: 49 Prozent).


Die Sorge vor einer Wirtschaftsflaute ist jedoch geringer geworden. Sie liegt mit 40 Prozent auf Platz zehn des Rankings. Im vergangenen Jahr – als das Geschäftsleben während der Pandemie erlahmte – lag sie mit 48 Prozent auf Platz vier.



Mehr Umweltängste wegen Flutkatastrophe


Während die Corona-Folgen als sehr konkret wahrgenommen werden, galt für den Klima-Wandel bisher die Gleichung: je abstrakter die Bedrohung, desto geringer die Angst vor ihr. Trotz Fridays for Future-Demonstrationen und Warnungen des Weltklimarates vor den Risiken einer beschleunigten Erderwärmung, blieben Umweltsorgen in der regulären R+V-Umfrage moderat - etwa auf dem Niveau des Vorjahres: 41 Prozent der Befragten haben große Angst vor häufigeren Naturkatastrophen und Wetterextremen (Platz 8; Vorjahr: 44 Prozent, Platz 5). Vor den Auswirkungen des Klimawandels sorgen sich wie im vergangenen Jahr 40 Prozent der Deutschen.



Seit der Hochwasserkatastrophe in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sehen die Deutschen allerdings eine dringendere Gefahr. "Weil die Ängste-Umfrage zu dieser Zeit bereits abgeschlossen war, haben wir Ende Juli in einer zusätzlichen Online-Umfrage weitere 1000 Bürger nach ihren Umweltängsten befragt", erklärt Römstedt. Naturkatastrophen und Extremwetter ängstigen nun 69 Prozent aller Bürger. 61 Prozent der Befragten sind besorgt, dass der Klimawandel dramatische Folgen für die Menschheit hat. Damit liegen die Ängste bei der Online-Umfrage um mehr als 20 Prozentpunkte über den Normalwerten.

 

Die Ängste seien wahrscheinlich auch in die Höhe geschnellt, "weil man zu dieser Zeit täglich verstörende Bilder aus den Flutgebieten gesehen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Ängste im kommenden Jahr wieder etwas zurückgehen, wenn man diese Bilder nicht mehr so vor Augen hat", vermutet Römstedt.



Dauerbrenner Flüchtlinge und Ausländer


2021 stehen erneut Sorgen rund um das Thema Migration unter den Top-Zehn. Obwohl es keine größere Flüchtlingsbewegung in Richtung Deutschland gegeben hat. Die Furcht vor der Überforderung des Staats durch Geflüchtete stieg auf 45 Prozent (Platz 4; Vorjahr 43 Prozent, Platz 8). Die Angst vor Spannungen durch Zuzug von Ausländern sank minimal auf 42 Prozent (Platz 7; Vorjahr 43 Prozent, ebenfalls Platz 7).


Daran erkenne man, dass "der Schock um die Flüchtlingskrise 2015 bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung nach wie vor sehr tief sitzt. Wir haben auch aus anderen Umfragen den Hinweis, dass dieses Thema Flüchtlinge und Asylanten das drittwichtigste Thema ist hinter Corona und dem Klimawandel", sagt der Politologe Schmidt.



Mäßige Note für Politiker im Wahljahr


2021 befürchten 41 Prozent der Deutschen, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind. Für ein Wahljahr dennoch ein moderater Wert, finden die Studien-Forscher. Zum Vergleich: Bei der Wahl vor vier Jahren zweifelten 55 Prozent der Befragten daran, dass die Politiker ihren Aufgaben gewachsen sind. Im Osten hadern die Bürger mehr mit den Politikern als im Westen (Ost: 50 Prozent, West: 39 Prozent).

 


Die Corona-Krise legte viele Mängel in Deutschland schonungslos offen. Wie den Mangel in der Digitalisierung – was 38 Prozent der Befragten besorgt. "Dass Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinkt, ist nur auf Platz 12 gelandet. Und das nach anderthalb Jahren Homeschooling und Home-Office, wo man doch gesehen hat, wo es hapert. Das hat mich sehr verwundert", sagt Brigitte Römstedt, Leiterin des R+V-Infocenters.



Deutsche als Pragmatiker der Angst


Mit der Studie 2021 hat die R+V-Versicherung zum 30. Mal den Ängste-Puls der Deutschen gemessen. Einen Trend oder Ängste, die die Untersuchungen anhaltend begleitet haben, gab es aber nicht. Immerhin wurde über die Dauer ein Vorurteil entkräftet. "In den vielen Jahren, in denen ich die Studie jetzt betreue, ist mir eines klar geworden. Der oft zitierte Begriff der 'German Angst' ist grundsätzlich falsch. Die Deutschen sind keine Angsthasen", erklärt Römstedt.


Im Gegenteil reagierten sie auf sehr reelle Bedrohungen. Nach dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 zum Beispiel, sei die Terror-Angst in die Höhe geschnellt. Bei Massenentlassungen, steige die Angst vor Arbeitslosigkeit. "Wenn die Bedrohungen nachließen, sinken auch die Ängste. Es gibt nicht die eine Angst, die immer oben ist, sondern das liegt ganz an der aktuellen Situation", sagt Römstedt.

 



 © Deutsche Welle 2021

Autor:Ralf Bosen



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