Praktische Übungen an der Hochschule der Polizei in Hahn. | © Holtermann Roland LPS RLP
Rund 80 Prozent der Deutschen haben Vertrauen in die Polizei*. Die Polizisten selbst klagen darüber, dass ihnen immer weniger Respekt entgegengebracht wird. Als ich ihnen sage, dass es in Deutschland wohl doch nicht so schlecht ist wie in Polen, wo über 33 Prozent der Polizei nicht oder eher nicht vertrauen**, antworten sie mir diplomatisch: „Ja, wir verfolgen, was in der Welt geschieht“. Sie wollen sich nicht auf politische Diskussionen einlassen, also unterhalten wir uns stattdessen über ihre Arbeit und darüber, wie sich die deutsche Gesellschaft und mit ihr die Polizei und die Welt des Verbrechens verändert.„Die Leiche eines jungen Mannes wurde mit einem Armbrustpfeil im Auge aufgefunden, er hat einen Brief hinterlassen“, meldet die Einsatzleiterin in der Polizeizentrale und gibt den Beamten die Adresse.Es ist zwei Uhr morgens in Mainz, der Landeshauptstadt des Landes Rheinland-Pfalz. Im Polizeipräsidium machen sich der 43-jährige Kriminalhauptkommissar Dominic Gillot und der 26-jährige Kriminalkommissar Nils Neuhaus für ihren Einsatz bereit. Sie nehmen ihre Dienstwaffen, zwei Selbstladepistolen des Typs Walther P99Q, aus dem Waffenschrank, außerdem nehmen sie einen Fotoapparat und zwei Metallkoffer mit Werkzeugen zur Spurensicherung mit. In den Koffern liegen ordentlich nebeneinander aufgereiht Pinzetten, Scheren, Reagenzgläser, Wattestäbchen, Utensilien zur DNA-Spurensicherung und Einweghandschuhe. Die beiden Beamten sind in Zivil gekleidet.„Wir arbeiten in fünf Zwei-Personen-Teams in drei Schichten“, erklärt mir Dominic Gillot. „Wenn es zu einem Überfall, einer Vergewaltigung oder einem Todesfall kommt, erhalten wir eine Meldung von unseren Kollegen von der Schutzpolizei, die zuvor den Tatort absperren. Während unseres Einsatzes untersuchen wir den Tatort, sammeln Fingerabdrücke und sprechen mit Zeugen. Dann kommt der schwierigste Moment, der Moment, in dem wir eine Entscheidung treffen müssen, die ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Ermittlungen ist. Denn wenn bei einer Leiche ein Abschiedsbrief gefunden wird, kann das auf einen Selbstmord hindeuten. Aber es kann auch ein Mord geschehen sind. Und ich muss direkt am Tatort – egal ob am Tag oder in der Nacht – entscheiden, ob wir die Ermittlungen abschließen oder ob wir einen Kriminaltechniker anfordern und die Gerichtsmedizin einschalten. Wenn ich ins Büro zurückkomme, schreibe ich einen Bericht und leite ihn an meine Kollegen aus den anderen Abteilungen weiter, je nachdem, um was für einen Fall es sich handelt. Und in diesem Moment endet meine Verantwortung. Die weiteren Ermittlungen werden von den dafür zuständigen Abteilungen durchgeführt.“Doku-Serie „Nachtstreife“
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Dominic Gillot weiß nie, was ihn am nächsten Tag erwartet. Es kann nur ein einzelnes Vorkommnis sein oder die ganze Palette: Vergewaltigungen, Brandstiftungen, Einbrüche oder Fälle, bei denen sich jemand unter einen Zug geworfen oder vom Dach eines Hochhauses gestürzt hat. Dabei könnte Dominic Gillot eigentlich ein ruhiges Leben führen. Nach der Schule leistete er seinen Wehrdienst ab, anschließend reiste er durch die Welt. Er arbeitete eine Weile im Familienunternehmen, einem Weingut, jedoch ohne großen Erfolg. Er wurde einfach das Gefühl nicht los, dass es nicht das Richtige für ihn war. Stattdessen lauschte er mit gespanntem Gesicht den Erzählungen seiner Bekannten, die bei der Polizei arbeiteten. Als er dreißig wurde, beschloss er, dass es Zeit für eine Veränderung in seinem Leben war. Er absolvierte ein dreijähriges Studium an der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz und wurde anschließend dem Polizeipräsidium in Mainz zugeteilt.Nach 13 Berufsjahren macht Dominic Gillot einen zufriedenen Eindruck. „Meine Arbeit hat viele Vorzüge, aber am meisten schätze ich das Gefühl finanzieller Sicherheit“, sagt er. „Polizisten in Deutschland sind Beamte, ihr Einkommen und ihre Pension sind also gesichert, außer sie begehen irgendein schweres Vergehen. Wie wichtig das ist, wurde mir während der Corona-Pandemie bewusst, als viele kleine und mittlere Unternehmen um ihr Überleben kämpfen müssten. Bei uns hat es in dieser Zeit an Arbeit nicht gemangelt.“„Willst du damit sagen, dass es während des Lockdowns genauso viele Verbrechen gegeben hat wie zuvor?“, frage ich nach.„Auch die Verbrecher müssen schließlich von etwas leben“, antwortet Dominic. „Während des Lockdowns hat sich ihre Tätigkeit einfach von der Straße ins Internet verlagert. Vor allem die Zahl der Telefonbetrüge hat zugenommen: Die Betrüger geben sich als Enkel oder als Polizist aus oder sie ködern den Angerufenen mit einem angeblichen Geldgewinn.“
Der Kriminalhauptkommissar Dominic Gillot und Felix Brandt, der seit fünf Jahren bei der Polizei in Kaiserslautern arbeitet. | Foto: Archivmaterial
Als ich Dominic Gillot frage, ob die Polizei seit der Flüchtlingskrise einen Anstieg der Verbrechensrate beobachtet hat, verneint er entschieden.„In meiner Arbeit hat sich über die Jahre hinweg nicht viel verändert“, erklärt er. „Selbstverständlich gibt es immer wieder Gesetzesänderungen und neue technologische Entwicklung, doch die Kriminalität bleibt im Grunde gleich. Auch wenn diese Behauptung nicht auf Statistiken basiert, sondern lediglich auf meiner täglichen Erfahrung.“„Können wir uns in Deutschland also sicher fühlen?“, frage ich ihn.„Ich kann da nur für meine Stadt sprechen, also für Mainz“, erklärt Gillot.„Ja, hier kannst du sogar nachts beruhigt auf die Straße gehen, auch wenn es gewisse Orte gibt, die du nach Einbruch der Dämmerung besser nicht allein aufsuchen solltest. Du darfst auch nicht vergessen, dass wir in Deutschland eines der strengsten Waffengesetze weltweit haben. Und sämtliche Waffenbesitzer werden regelmäßig kontrolliert. Wenn also jemand illegal eine Waffe besitzt, wird er kaum mit ihr durch die Gegend laufen.“„Ich frage nur, weil ich so wenig Polizisten auf den Straßen sehe.“„Viele meiner Kollegen gehen derzeit in Pension“, erzählt Dominic Gillot. „Aber gleichzeitig rücken viele junge Polizisten nach, es kommt zu einem Generationswechsel. Darüber freue ich mich.“„Und mit deinem Gehalt bist du zufrieden?“, frage ich ihn.Dominic Gillot lächelt mysteriös.„Ich kann nicht klagen“, sagt er nach einer Weile.Die Besoldung von Polizisten ist kein Geheimnis, also prüfe ich sie auf der offiziellen Internetseite nach***. Sie ist abhängig von der Anzahl der Dienstjahre und der Besoldungsgruppe und liegt zwischen 2120 und 7530 Euro brutto im Monat. Außerdem haben Polizisten Anspruch auf 30 Urlaubstage pro Jahr sowie zusätzliche Urlaubstage für geleisteten Nachtdienst. Sie dürfen mit 63 Jahren in Pension gehen, oder auch bereits mit 60 Jahren, wenn sie mindestens 25 Jahre im Wechselschichtdienst gearbeitet haben. Um Lohnerhöhungen kümmern sich zwei Polizeigewerkschaften, in denen fast 80 Prozent aller Polizisten organisiert sind. Die Gewerkschaften vertreten die Interessen der Polizisten bei den Verhandlungen mit ihren Arbeitgebern, also den Landesinnenministern.„Und wie reagierst du den ganzen Stress ab, all den Tod und das Leid, mit dem du jeden Tag bei deiner Arbeit konfrontiert wirst?“, frage ich Dominic Gillot.„Ich gehe jagen“, antwortet er mir kurz und knapp.„Du schießt, um dich zu entspannen?“, frage ich ihn ungläubig.„Es geht dabei eher um den Kontakt mit der Natur, das Aufspüren des Wildes“, erklärt er mir. „Wenn ich nach zwei Stunden im Wald nach Hause zurückkomme, fühle ich mich wie nach drei Tagen Urlaub. Außerdem schaue ich mir in meiner Freizeit gerne einen guten Film an. Ich bin ein großer Fan von Hollywood-Produktionen. Deutsche Krimis mag ich nicht so gern. Die haben zu wenig mit der Realität zu tun“, lacht Dominic Gillot.EIN STERN AUF DER SCHULTERKLAPPE UND 2600 EURO AUF DIE HAND!Auch der 26-jährige Felix Brandt, der seit fünf Jahren bei der Polizei in Kaiserslautern arbeitet, ist kein großer Krimi-Fan.„Ich habe jeden Tag genügend Krimi bei der Arbeit“, sagt er.Wenn er doch manchmal abends aus Neugier den „Tatort“ einschaltet, eine Krimiserie, die bereits seit über fünfzig Jahren ununterbrochen im deutschen Fernsehen läuft, schüttelt er nur ungläubig den Kopf. „Was denen nicht alles einfällt ...“, sagt er dann zu seiner Frau.Krimiserie „Tatort“
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Seine Frau ist für ihn eine echte Ansprechpartnerin, er kann mit ihr über alles reden. Brandt schätzt ihre frische Sichtweise und ihre klugen Bemerkungen, außerdem tut es manchmal einfach gut, sich gewisse Dinge von der Seele zu reden. Er hat zwar auch bei der Arbeit einen Anspruch auf psychologische Betreuung: Er muss nur anrufen und einen Termin vereinbaren, in der Regel findet das Gespräch noch am selben oder am nächsten Tag statt. Aber die Gespräche mit einem vertrauten Menschen sind nach Brandts Ansicht durch nicht zu ersetzen.Und es gibt tatsächlich Fälle, die einen lange nicht loslassen. Zum Beispiel dieser: Einmal wurden er und sein Kollege um vier Uhr morgens zu einem Einsatz gerufen. In einer Wohnung wurde laut gefeiert, viele Personen standen unter Alkohol- und Drogeneinfluss, darunter auch die Mutter eines wenige Tage alten Kindes. Jemand versuchte gerade, den Säugling die Toilette herunterzuspülen.„Das Kind war tot. Wahrscheinlich war es schon tot auf die Welt gekommen“, erzählt Brandt. „So etwas kann man nicht vergessen. Ich würde verrückt, wenn ich das alles in mich hineinfressen würde.“Nein, Polizist war nicht Felix Brandts Traumberuf, eigentlich wollte er lieber Architekt werden. Aber nach dem Praktikum in einem Architekturbüro, in dem den ganzen Tag still und konzentriert an neuen Entwürfen gearbeitet wurde, sehnte er sich nach einer Arbeit, bei der er in Bewegung, unter Menschen sein konnte. Auch die Erzählungen seines Onkels, der bei der Polizei arbeitete, hatten sicherlich einen Einfluss auf seine Entscheidung.Bei der Polizei passiert ständig etwas, die Zeit vergeht hier schnell“, sagt Felix Brandt. „Wenn wir morgens ins Polizeipräsidium kommen, melden wir uns, prüfen unsere E-Mails, lesen Berichte und warten auf einen Einsatz. An manchen Tagen ist sofort etwas los: eine Schlägerei, ein Diebstahl, ein Autounfall. Und wenn wir nicht zu einem Einsatz gerufen werden, fahren wir Streife oder führen Verkehrskontrollen durch. Auf diese Weise habe ich auch ein polnisches Wort gelernt. Wenn ich ein Fahrzeug mit einem polnischen Nummernschild anhalte und den Führerschein sehen will, bitte ich höflich um die »prawo jazdki«.Felix Brandt beklagt, dass seine Stadt Kaiserslautern in den deutschen Kriminalstatistiken weit oben rangiert. Er sagt, dies habe auch etwas mit den amerikanischen Soldaten zu tun, die in Kaiserslautern leben.„Kaiserslautern hat 100 000 Einwohner, aber wegen der Militärbasis Ramstein leben auch rund 50 000 US-Amerikaner in der Region“, erklärt Brandt. „Sie tauchen nicht in den Einwohnerzahlen auf, jedoch sehr wohl in den Kriminalstatistiken. Das sind auch nicht alles Musterknaben – die schlagen auch mal über die Stränge. Manche von ihnen bleiben auch nach dem Ende ihrer Dienstzeit in Kaiserslautern. Und zum Teil kann man sich nur schwer mit ihnen verständigen, weil viele von ihnen kein Deutsch lernen wollen. Sie haben einfach keine Motivation, denn weil so viele US-Soldaten in der Region leben, können sie ihr Bier in der Kneipe auf Englisch bestellen, in Dollar bezahlen und ihre Einkäufe in der Militärbasis machen. Das Einkaufszentrum dort sieht aus wie eine amerikanische Kleinstadt. Sie haben sogar ihre eigene Polizei, mit der wir gelegentlich zusammenarbeiten. Es wäre jedoch undenkbar, dass sich Polizisten in Deutschland so verhalten wie in den USA.“Felix Brandt erklärt mir, dass er bereits während seines Studiums an der Polizeihochschule auf die Begegnung mit Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen vorbereitet wurde. „Uns wurde dort zum Beispiel erklärt, warum man vor dem Betreten einer Moschee die Schuhe ausziehen soll“, erzählt er. „Auch wenn das während eines Einsatzes vielleicht nicht immer möglich ist. Zum Glück arbeiten heutzutage in der Polizei immer mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft. Sie haben entsprechende Sprachkenntnisse und ein besseres Verständnis für andere Religionen und Kulturen. Selbst wenn ich nicht mit ihnen in einem Team zusammenarbeite, kann ich sie jederzeit anrufen, um ihnen eine Frage zu stellen oder sie um eine Übersetzung zu bitten.“Die Veränderungen in der deutschen Polizei spiegeln nach Brandts Ansicht den Wandel in der deutschen Gesellschaft wider. Deshalb haben deutsche Polizisten oder Polizistinnen auch keine Angst mehr davor, zuzugeben, dass sie schwul oder lesbisch sind. Ein weiteres Anzeichen für den Wandel ist der wachsende Anteil von Frauen in der Polizei. „Auch wenn die obersten Posten nach wie vor von Männern besetzt sind, arbeiten immer mehr Frauen in führenden Positionen“, erklärt Brandt. Und er fügt hinzu: „Wie viel du bei der Polizei verdienst, hängt nicht von deinem Geschlecht ab, sondern von deiner Berufserfahrung, deinem Rang und der Anzahl der Dienstjahre.“„Verrätst du mir, wie viel du verdienst?“, frage ich.„2600 Euro netto im Monat“, antwortet Brandt mit unverhohlenem Stolz. „Ich habe zwar nur den niedrigsten Dienstgrad und nur einen Stern auf der Schulterklappe, aber aufgrund meiner Berufserfahrung bin ich in einer höheren Besoldungsgruppe. Ja, ich verdiene deutlich mehr als meine Altersgenossen in anderen Berufen.“Nebenbei führt Felix Brandt auch ein Instagram-Konto mit 7 600 Followern.Doku-Serie „Nachtstreife“
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Als ich mir die Bilder von Brandt auf Streife, bei der Verkehrskontrolle und bei Versammlungen ansehe, fällt mir auf, dass nicht nur auf seiner Uniform (bestehend aus einem hellblauen Hemd und einer dunkelblauen Hose), sondern auch auf seiner Schutzweste, seinem Pullover und seiner Jacke ein deutlich sichtbares Namensschild angebracht ist. „Das ist bei uns so vorgeschrieben, die Leute sollen schließlich wissen, mit wem sie es zu tun haben“, erklärt Felix Brandt sichtlich verwundert über meine Frage. „Aber es stimmt schon, dass nicht alle Kollegen glücklich mit dieser Regelung sind. Es gibt Situationen, in denen sie lieber anonym bleiben würden.“„Was gehört alles zur Ausrüstung deutscher Polizisten?“, frage ich nach.„Eine Pistole, Handschellen, eine Taschenlampe und ein Schlagstock oder alternativ ein Elektroschocker und Pfefferspray“, zählt Felix Brandt auf. „Nach einer entsprechenden Schulung dürfen wir auch eine sogenannte Body-Cam einsetzen, eine sichtbar auf der Schulter getragene Videokamera. Auf diese Weise kann ich das Einsatzgeschehen dokumentieren, und die Aufnahmen können hinterher als Beweismaterial verwendet werden.“ Solche Body-Cams können angeblich Konfliktsituationen entschärfen, auch wenn Brandt, wie er selbst sagt, in solchen Situationen eher von seiner angeborenen Geduld profitiert. Er sagt, dass er selbst dann, wenn jemand ihn anschreit oder ihn beleidigt, lieber zehnmal versucht, etwas ruhig zu erklären und eine friedliche Lösung zu finden, bevor er sich auf eine Konfrontation einlässt.Ich sehe mir einen solchen Polizeieinsatz in der vom SWR produzierten Doku-Serie „Nachtstreife“ an. Ein Betrunkener randaliert vor einem Nachtklub. Die Polizisten reden ruhig auf ihn ein und scherzen. Alles geschieht ohne Gewalt und ohne Handschellen. Als der Mann sich beruhigt hat, bringen sie ihn zum Bahnhof, damit er nach Hause fahren kann. „Manchmal ist es besser, die Zähne zusammenzubeißen und sich nicht provozieren zu lassen. Oder ihm sogar Hilfe anzubieten und ihn zum Bahnhof zu fahren. Wir haben die Ruhe wiederhergestellt, und darum geht es schließlich“, sagen die Polizisten in die Kamera.Praktische Übungen in der virtuellen Realität an der Hochschule der Polizei in Hahn. | @ Holtermann Roland LPS RLP
„Ich weiß nicht, wie es früher war“, seufzt Felix Brandt. „Aber meine älteren Kollegen erzählen, dass es Zeiten gab, in denen Polizisten noch Respektspersonen waren. Niemand hätte sich mit ihnen angelegt oder sie beleidigt. Heutzutage muss man als Polizist schon eine dicke Haut haben.“WIR HATTEN AUCH SCHON POLNISCHE STUDENTEN„Ist der Polizeiberuf weiterhin attraktiv für junge Menschen?“, frage ich Silke Mönch von der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz, an der auch Gillot und Brandt ihr Studium abgeschlossen haben.„Das ist einer der angesehensten Berufe in Rheinland-Pfalz****“, erklärt die Oberinspektorin, die dort in der Zentralstelle für Werbung und Einstellung arbeitet. „Nicht nur wegen der finanziellen Sicherheit, die der Beamtenstatus mit sich bringt, sondern auch aufgrund der guten Aufstiegsmöglichkeiten und dem Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“Es ist sicherlich nicht einfach, immer die richtige Entscheidung zu treffen, schließlich gibt es viele Situationen, in denen nicht alles nur schwarz oder weiß ist“, sagt Andreas Willgerodt. „Die Herausforderung besteht darin, das erworbene Wissen richtig anzuwenden, insbesondere in Stresssituationen. Zum Glück arbeiten wir zu Beginn unserer Karriere mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zusammen, das gibt bestimmt Sicherheit.„Welche Anforderungen müssen die Bewerber erfüllen? Wer kann alles bei euch studieren“, frage ich nach.„Nun ja, nicht jeder eignet sich für den Polizeiberuf“, erklärt mir die Polizeioberrätin Judith Krämer, die Leiterin der Zentralstelle für Werbung und Einstellung. „Neben formalen Anforderungen wie dem Abitur müssen Bewerber die deutsche Staatsangehörigkeit oder eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen, über einen Führerschein der Klasse B verfügen und mindestens 162 cm groß sein. Aber das ist nicht alles. Sie dürfen keine Vorstrafen haben, müssen eine polizeiärztliche Untersuchung bestehen und einen Einstellungstest mit Fragen aus den Bereichen Sprachverständnis, Mathematik und logisches Denken absolvieren. Ebenso wichtig sind der Sporttest, der unter anderem einen 12-Minuten-Lauf, einen Hindernislauf und Kletterübungen umfasst, und natürlich das Vorstellungsgespräch.“„Das ist eine ganze Menge“, seufze ich.„Und doch mangelt es nicht an Bewerbern“, sagt Polizeihauptkommissar Jan Karweik vom Direktionsbüro Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule. „Im vergangenen Jahr hatten wir 580 Studenten, davon waren 30 Prozent Frauen. Übrigens haben wir einmal nachgezählt, und es stellte sich heraus, dass wir auch schon mindestens 170 Studenten polnischer Herkunft hatten.“„Und werden sämtliche Absolventen anschließend in den Dienst übernommen?“, frage ich.„Ja, das ist gut organisiert“, bestätigt Karweik. Es werden nicht nur sämtliche Absolventen in den Dienst übernommen, sondern sie dürfen sogar wählen, in welchem Polizeipräsidium in Rheinland-Pfalz sie später verwendet werden möchten.“Ich sehe mir eine Informationsbroschüre der Hochschule an, die gerade ihr 25. Jubiläum feiert. Der dreijährige Bachelorstudiengang umfasst 12 Module, von denen jedes aus einem theoretischen und einem praktischen Teil besteht – das Studium erfolgt im sogenannten dualen System. Meine besondere Aufmerksamkeit erregt das zweite Modul mit dem Titel „Die Polizei im demokratischen Rechtsstaat“, das zwölf Wochen, davon 3 Tage Berufspraxis, umfasst. Als ich den deutschen Polizisten erzähle, dass die Polizei in Polen von der Regierung immer häufiger zur Durchsetzung politischer Ziele benutzt wird, tritt eine peinliche Stille ein.Also frage ich zwei Studierende, die sich ebenfalls in das Gespräch eingeschaltet haben, Andreas Willgerodt und Monique Stauch, was ihnen an dem von ihnen gewählten Beruf so gut gefällt.„Das Gefühl von Zusammenhalt und Solidarität“, antworten sie.„Und was erscheint euch als das Schwierigste am Polizeiberuf?“, frage ich nach.Sportübungen an der Hochschule der Polizei in Hahn. | @ Holtermann Roland LPS RLP„Wir versuchen, die zukünftigen Polizisten im Rahmen des Studiums auf Grenzsituationen vorzubereiten, die schließlich jederzeit eintreten können“, wirft Jan Karweik ein. „Es gibt Unterrichtseinheiten mit psychologischen Schwerpunkten, in denen wir den Studenten nicht nur beibringen, wie man mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert, worauf man achten muss und wie man seine Meinung vertritt, sondern auch, wie man mit Stresssituationen umgeht. Alle denken, wir sind so abgehärtet, dass uns nichts mehr erschüttert. Aber in Wahrheit kann kein Polizist den Moment vergessen, in dem er zum ersten Mal vor einem toten Menschen gestanden hat. Zum Glück dürfen Polizisten heutzutage auch Schwächen zeigen und sagen, dass sie sich in bestimmten Situationen überfordert fühlen. Das war früher anders.“„Es gibt auch Übungen, bei denen eine bestimmte Situation nachgestellt wird, auf die wir entsprechend reagieren müssen“, fügt Monique Stauch hinzu. „Neulich haben wir auf diese Weise zum Beispiel den Umgang mit einem betrunkenen Fahrer geübt. Wir trugen Uniformen und mussten selbständig entscheiden, wie wir vorgehen, ohne dass der Dozent uns irgendwelche Hinweise gab. Anschließend sollten wir sagen, was uns Probleme bereitet hatte und was nicht. Am Anfang war es sehr schwierig, aber beim zweiten Mal ging es schon besser.“Ein Beitrag geteilt von Felix Brandt (@felix_polizeikl)„Was soll ich euch für die Zukunft wünschen?“, frage ich die beiden zum Abschluss unseres Gesprächs.„Einen silbernen Stern auf der Schulterklappe“, sagen Andreas und Monique lachend.SCHLUSS MIT DEM SCHWEIGEN!Auch Tania Kambouri träumte von einem Studium an der Polizeihochschule. Und sie erfüllte sich ihren Wunsch, auch wenn es nicht immer einfach war. Ja, sie gibt nicht so leicht auf – ihre Eltern sind schließlich stolze Griechen. Sie selbst wurde vor 38 Jahren in Deutschland geboren. Als sie ihren Dienst im Polizeipräsidium Bochum antrat und zum ersten Mal ihre Uniform anlegte, glaubte sie, die Welt auf ihrer Seite zu haben. Doch dann lief alles aus dem Ruder.Tania Kambouri fraß viel in sich hinein. Bis sie eines Tages – nach einem weiteren Einsatz, bei dem sie wiederholt als „Bullenschlampe“ beschimpft wurde – genug hatte und einen Leserbrief an die Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei schrieb. In diesem Brief schrieb sie sich den ganzen Frust von der Seele, der sich in ihr in den zehn Jahren seit dem Beginn ihrer Karriere aufgestaut hatte. Sie beschrieb die Missachtung, die ihr insbesondere von jungen Muslimen entgegengebracht wird, die Rudelbildung und die Provokationen, die psychische und nicht selten auch körperliche Gewalt. Sie hatte genug davon, dass Tatsachen aus Gründen der politischen Korrektheit unter den Teppich gekehrt werden. Nach der Veröffentlichung von Tania Kambouris Leserbrief erhielt die Redaktion der Zeitschrift eine Flut von Zuschriften. „Endlich traut sich jemand, die Wahrheit zu sagen“, schrieben Polizisten aus ganz Deutschland.Zwei Jahre nach ihrem emotionalen Brief veröffentlichte Tania Kambouri 2015 das Buch „Deutschland im Blaulicht – Notruf einer Polizistin“******, das es auf Anhieb auf die Bestsellerliste des Spiegel schaffte. Sie schrieb darin über die täglichen Frustrationen und Erniedrigungen, denen sie als Polizistin ausgesetzt ist. Ein Beispiel gefällig? Kambouri wird zu einem Einsatz gerufen, doch als sie dort erscheint, weigert sich der türkische Familienvater mit einer Frau in Uniform sprechen, möglicherweise, weil er sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe, ihrer braunen Augen und ihrer schwarzen Haare für eine Muslimin hält. Oder sie begegnet einer Gruppe junger Männer, die sie aus sicherer Entfernung mit Schimpfwörtern und obszönen Gesten bedenken.Kambouri beschreibt den Stress, dem sie bei ihrer Arbeit tagtäglich ausgesetzt ist und der zu Burnout und gesundheitlichen Problemen führen kann. Sie denkt darüber nach, was getan werden müsste, um die Situation junger Migranten, die ihrer Meinung nach am häufigsten Probleme mit den deutschen Gesetzen haben, zu verbessern. Sie betont die Notwendigkeit integrativer Maßnahmen bereits ab dem Vorschulalter, guter Ausbildungsmöglichkeiten und schneller Hilfeleistung in Fällen familiärer Gewalt. Sie fordert klare Regeln und konsequente Gesetze. Als das Buch zwei Jahre später in einer zweiten Auflage erschien, beklagte Kambouri in einem neuen Vorwort, dass sich in diesen zwei Jahren kaum etwas verändert hatte und das ihr Buch bei den Verantwortlichen offensichtlich auf taube Ohren gestoßen war. Sie distanzierte sich gleichzeitig vom Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit, der ihr seit dem Erscheinen ihres Buches immer wieder entgegenschlug. Eben dieser Vorwurf stellt für viele Polizisten ein Problem dar.Noch vor wenigen Wochen elektrisierte eine Meldung über die Auflösung des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Frankfurt am Main die öffentliche Meinung. Mitglieder des SEK waren überführt worden, über einen Messengerdienst rechtsextreme, volksverhetzende Inhalte und Nazi-Symbole getauscht zu haben. In den Foren entbrannte daraufhin eine heftige Diskussion, ob das Problem durch die Auflösung einer einzelnen Einheit gelöst werden könne oder ob es grundlegender Reformen innerhalb der Polizei bedürfe. Bisher blieb diese Frage unbeantwortet.
In Deutschland gibt es insgesamt 333 600 Polizisten (zum Vergleich: in Polen 98 000). Diese setzen sich aus 50 800 Bundespolizisten und 271 800 Landespolizisten zusammen. 2020 wurden in Deutschland rund 5,31 Millionen Straftaten polizeilich registriert (in Polen 786 302*****), der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger lag bei über 33 Prozent. Zu den häufigsten Straftaten zählen Diebstahl, Betrug und Sachbeschädigung. Die Zahl tätlicher Angriffe auf Polizisten stieg um circa 6 Prozent (auf 15 800 Fälle). 2020 wurden in Deutschland 245 Mordfälle registriert (in Polen 656). In Deutschland befinden sich derzeit insgesamt 46 054 Gefangene und Verwahrte in Justizvollzugsanstalten (in Polen waren es 2019 74 130).
*https://de.statista.com/statistik/daten/studie/377233/umfrage/umfrage–in–deutschland–zum–vertrauen–in–die–polizei/**Eine Studie des polnischen Meinungs- und Marktforschungsinstituts IBRiS vom November 2020***Informationen über die Besoldung von Polizisten: https://www.dbb.de/mitgliedschaft-service/besoldungstabellen.html****Eine Studie des Instituts Trendence*****https://www.policja.pl/pol/aktualnosci/199042,Podsumowujemy-2020-rok-w-Policji.html******Tania Kambouri: „Deutschland im Blaulicht – Notruf einer Polizistin“Dieser Artikel gehört zu einer Reihe von Reportagen „Oto Niemcy“ (Das ist Deutschland), die das Goethe-Institut gemeinsam mit dem Magazin Weekend.gazeta.pl veröffentlicht.Joanna Strzałko studierte Skandinavistik an der Jagiellonen-Universität Krakau. Anschließend studierte sie an der Polnischen Reportageschule in Warschau. Sie ist als Reporterin und Übersetzerin tätig und arbeitet unter anderem mit der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ und deren Reportagemagazin „Duży Format“ sowie mit der Fachzeitschrift „Charaktery“, dem Portal weekend.gazeta.pl und „Magazin“ Goethe-Institut zusammen. Ihre Artikel erschienen auch in der Frauenzeitschrift „Twój Styl“, dem Magazin „Newsweek Historia“ und der Zeitschrift „Polityka“. Sie war Stipendiatin der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und Finalistin des Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreises 2019. Sie lebt in Deutschland.Übersetzung: Heinz RosenauCopyright: Goethe-Institut Polen