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Als Ökonomin sieht Claudia Kemfert gute Chancen, dass wir den Klimawandel und seine schlimmsten Folgen noch eindämmen können – wenn wir unsere Wirtschaft konsequent umbauen und unser Leben ändern. Und sie will zeigen, dass das Spaß machen kann fluter: Sie betrachten das Thema Klimawandel vor allem ökonomisch. Was wird er uns denn kosten?Claudia Kemfert: Leider hängt kein Preisschild am Klimawandel. Wir können die Kosten aber grob berechnen, indem wir die Folgen kalkulieren: Die Temperatur steigt weltweit deutlich. Extreme Wetterereignisse wie Stürme und Regen mit Überflutungen werden häufiger und intensiver. Das verursacht Schäden an Infrastrukturen wie Gebäuden und Straßen. Dürren führen zu Ernteeinbußen. Und so weiter. Zahlreiche Klimaforscher rechnen deswegen mit Schäden in Höhe von bis zu zehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts bis zum Ende des Jahrhunderts, wenn es zu einem ungebremsten Klimawandel kommt.Trotzdem gibt es von Ihnen ein Buch mit dem Titel „Die andere Klima-Zukunft – Innovation statt Depression“. Sind Sie jetzt, zehn Jahre später, immer noch so optimistisch?Klar! Auch wenn es langsam geht und es manchmal Rückschritte gibt, zeigt sich immer deutlicher: Ein Umstieg auf grüne Technologien bringt große ökonomische Chancen, viele zukunftsfähige Jobs und neue Märkte. Die alternativen Energien sind weiterentwickelt und immer preiswerter geworden. Und zum Glück gibt es auch politisch zahlreiche Fortschritte: Auf den Weltklimakonferenzen wurde international verbindlich beschlossen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Es geht da jetzt um den gesamten Instrumentenkasten der Politik, also nicht nur den Umbau der Energieversorgung, sondern etwa auch der Bereiche Verkehr, Landwirtschaft, Gebäudedämmung und so weiter.Warum gibt es, wenn das alles so klar ist, immer noch so viel Widerstand und Zweifel? Zweifel sogar, ob der Mensch den Klimawandel überhaupt verursacht.Es gibt eine Vielzahl von Akteuren, die sich darauf spezialisiert haben, Fehlinformationen zu verbreiten. Und die werden durch die sozialen Medien noch verstärkt, weil viele Menschen die Welt gerne einfacher hätten. Dahinter stehen oftmals Interessen der Kohle-, Gas- und Mineralölindustrie, deren Geschäftsmodelle schwinden und die nun alle Hebel in Bewegung setzen, um noch möglichst viel zu retten – durch bezahlte politische Einflussnahme und PR-Kampagnen. Dabei gibt man sich gerne einen wissenschaftlichen Anstrich, verbreitet in Wahrheit aber oft interessengeleitete Mythen. Wir alle, Gesellschaft, Medien und Politik, müssen in diesen schnelllebigen Zeiten lernen, hier sauber zu unterscheiden. Man sieht derzeit in Amerika, wie erfolgreich simpel gestrickte Verschwörungstheorien fundierte Fakten verdrängen.
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Gibt es in der Wissenschaft selbst noch Kontroversen zum Klimawandel?Natürlich, Diskurs gehört zum Wesen der Wissenschaft. Aber wir streiten nur noch darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels genau aussehen werden – immerhin geht es um Simulationen für sehr lange Zeiträume. Im Grundsatz gibt es aber kein Erkenntnisproblem. Der menschengemachte Klimawandel gilt als zu 97 Prozent sicher. Manche fordern 100 Prozent Gewissheit. Gut, kann man machen. Nur: Wer würde in ein Flugzeug einsteigen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 97 Prozent abstürzen wird?Sie haben die Kohlekommission beraten, die einen Kompromiss für den deutschen Kohleausstieg erarbeitet hat: 2038 soll das letzte Kraftwerk vom Netz gehen, die Betreiber sollen Entschädigungen bekommen und die Kohleregionen Unterstützungen für den Strukturwandel. Was sagen Sie einem Kohlearbeiter, der um seinen Arbeitsplatz bangt? Genau darum ging es in der Kommission: Indem man die Sichtweise der direkt Betroffenen einbezogen und Strukturhilfen vereinbart hat, soll dieser gesellschaftliche Konflikt befriedet werden. Die Menschen haben sehr wertvolle Arbeit geleistet und können das auch in Zukunft tun. Rund 20 Jahre sind für alle genug Zeit, um sich abhängig von Qualifikation und Alter neue Zukunftsperspektiven zu erarbeiten. Gefährlich ist es, wenn man zu lange an der Vergangenheit festhält. Dann muss man den Menschen irgendwann wirklich große Härten zumuten.Profitieren von den neuen Märkten und Technologien nur die Industrieländer? Was ist mit den Staaten des globalen Südens?Gerade in den Entwicklungsländern gibt es enorme Chancen. Solarenergie zum Beispiel ist als dezentrale Energieversorgung vor allem in den Regionen besonders gut geeignet, in denen die Menschen bisher keinen Strom haben. Das Beste daran: Zugang zu Energie heißt auch Zugang zu mehr Partizipation, Demokratie und Wohlstand.@draufsicht, © unsplash.comDas klingt gut. Aber die Entwicklungs- und Schwellenländer werden eher zu den Verlierern des Klimawandels gezählt.Vorsicht: Klimawandel und Klimaschutz sind nicht dasselbe! Wenn es um die Folgen des Klimawandels geht, dann sind in der Tat viele dieser Regionen benachteiligt. Gerade Afrika, wo ganze Landstriche durch extreme Hitze und Dürre unbewohnbar werden. Industriestaaten wie Deutschland können mit Extremwetterereignissen immer noch besser umgehen. Deshalb müssen sie den Ländern des globalen Südens bei der Anpassung helfen. Die Chancen des Klimaschutzes hingegen sehe ich für alle Länder.Zur globalen Perspektive gehört auch, dass es das sogenannte Trittbrettfahrer-Dilemma gibt: Alle Länder profitieren davon, wenn sich möglichst viele Staaten zu CO₂-Einsparungen verpflichten. Doch zugleich ist es für jedes einzelne Land immer noch von Vorteil, die eigene Wirtschaft anzukurbeln, ohne auf den CO₂-Ausstoß zu achten. Wie kann das gelöst werden?Indem wir uns auf die genannten Chancen konzentrieren: Gerade in den USA sieht man ja, dass die erneuerbaren Energien schon heute für Inves-toren attraktiver sind. Obwohl die ofizielle Politik den Klimaschutz nicht mehr für notwendig hält, findet er dort statt – indem immer mehr Geld aus der fossilen Industrie abgezogen wird und in die Erneuerbaren fließt. Das sind wichtige Marktsignale. Auch wenn die US-Regierung und andere Staatschefs das derzeit nicht wahrhaben wollen: Klimaschutz zahlt sich aus!Sie glauben hier offenbar sehr an die Marktkräfte.Tatsächlich ist der Markt heute so weit, dass der Klimaschutz im Grunde gar nicht mehr aufzuhalten ist. Aber dem sind auch 20 Jahre vorausge-gangen, in denen man politisch die nötigen Rahmenbedingungen schaffen musste. Da hat Deutschland mit der Förderung alternativer Energien viel geleistet. Dadurch sind sie erst wettbewerbsfähig geworden.Aber Deutschland verpasst auch sein selbst gestecktes Ziel, den CO₂-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Ist die deutsche Klimapolitik gescheitert?Gescheitert ist das falsche Wort. Es ist mühsam, aber es geht voran. Wir haben die Erneuerbaren erfolgreich gefördert und haben jetzt den Kohlekompromiss. Nun muss die restliche Wirtschaft CO₂-frei werden. Das ist noch ein langer Weg, aber die 2030er Ziele – also die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 – sind erreichbar. Mich stimmt optimistisch, dass die Bevölkerung sehr klar mehr Klimaschutz fordert und dass auch immer mehr Kommunen und öffentliche Einrichtungen auf alternative Energien setzen. Eine weitere wichtige Maßnahme wäre eine CO₂-Steuer. Allerdings muss man dabei die sozialen Verwerfungen im Blick haben, zu denen das führen kann, wie man an den französischen Gelbwesten sieht. Da braucht es kluge Ausgleichsmaßnahmen. Auf der anderen Seite steht: Heute kostet die Kilowattstunde Strom gut doppelt so viel wie im Jahr 2000 – und das, obwohl erneuerbare Energien immer günstiger werden. Hauptpreistreiber neben den Netzentgelten ist die Umlage für erneuerbare Energien, die aktuell 23,6 Prozent des Strompreises ausmacht.Moment, Sie gehen gerade den fossilen Lobbyisten auf den Leim! Der Strompreis steigt ja nicht wegen der erneuerbaren Energien, diese werden nämlich immer billiger. Allerdings werden die gesunkenen Kosten nicht an die Verbraucher weitergereicht. Schlimmer noch: Die erneuerbaren Energien senken die Börsenstrompreise. Das wird aber nicht sichtbar, weil die EEG-Umlage (EEG = Erneuerbare-Energien-Gesetz) – und das ist politisch gewollt – sich automatisch erhöht, wenn der Börsenpreis sinkt. Je niedriger der Börsenpreis, desto höher die Umlage. Was die Netzumlage tatsächlich explodieren lässt, sind Kohleabwrackprämien, Traumrenditen für Netzbetreiber und sonstige Geschenke für die konventionelle Energiewirtschaft. Nur wird darüber nicht berichtet. Es ist einfacher, die erneuerbaren Energien als Sündenbock für angebliche Strompreissteigerungen zu stigmatisieren. Technisch und ökonomisch ist die Energiewende kein Problem, eher politisch: Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe.Es gibt auch Experten, die bezweifeln, dass die Erneuerbaren mit der nötigen Verlässlichkeit Strom liefern können. In letzter Zeit wurde berichtet, dass Industriebetriebe ihre Anlagen vorübergehend abschalten mussten, weil weniger Strom aus Erneuerbaren da war, als erwartet wurde.Auch das ist Lobbyisten-Latein: Den erneuerbaren Energien wird hier erneut der Schwarze Peter zugeschoben. Denn versorgungssicher sind die erneuerbaren Energien allemal. Klar scheint nicht immer die Sonne und weht nicht immer der Wind. Aber erneuerbare Energien sind Teamplayer. Mal liefert die eine, mal die andere Quelle mehr Energie. Man muss sie bloß klug miteinander verzahnen, also dezentral, intelligent und flexibel. Genau dies tun beispielsweise sogenannte virtuelle Kraftwerke. Auch Speicher werden künftig eine wichtigere Rolle spielen. Die Versorgungssicherheit wird nicht durch den Wechsel der Energiequelle gefährdet, sondern weil fossile Lobbyisten kluge Lösungen und günstige Rahmenbedingungen für virtuelle Kraftwerke blockieren. @dominik_photography, © unsplash.comUnd was ist mit dem Rebound-Effekt? Treibhausgas-Ein- sparungen verpuffen oft, weil der Konsum mit den neuen Technologien insgesamt zunimmt.Das Problem ist ernst zu nehmen. Bekanntlich sind die deutschen Automotoren in den letzten Jahren viel effzienter geworden, doch zugleich haben die Hersteller immer größere und schwerere Fahrzeuge gebaut. Damit verbesserte Energieeffizienz auch zu reduziertem Verbrauch führt, brauchen wir einen breiten Instrumentenkasten: etwa eine Erhöhung der Dieselsteuer, eine Quote für Elektroautos, die Förderung des ÖPNV, eine CO₂-Bepreisung, aber auch ein Tempolimit.Würden die Bürger, aber auch Unternehmen und Institutionen diese Maßnahmen nicht als Zumutungen empfinden?Ich mag diese Verzichtsdebatten nicht. Statt zu jammern, was alles nicht mehr geht, sollten wir uns freuen: Mit Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. Klimaschutz macht Spaß. Und nachhaltig konsumieren ist einfach. Leider zeigt die Statistik, dass ausgerechnet die einkommensstarken Haushalte besonders zum Klimawandel beitragen. Dabei hätten gerade sie es leicht, das zu ändern. Klar muss man dafür seine Konsumgewohnheiten überdenken. Das ist keine Frage des Geldes, sondern des Geistes.Was tun Sie denn selbst für den Klimaschutz, und was macht daran Spaß?Für mich ist das ein Lebensgefühl. Klimaschutz ist gesund und schont den Geldbeutel. Meine Klimabilanz ist ganz okay. Ich fahre Fahrrad, ich kaufe regionale Produkte, ich achte generell auf die Ökobilanz meines Konsums. Leider muss ich beruflich viel in die weite Welt fliegen. Um die Emissionen wenigstens zu kompensieren, spende ich an internationale Klimaschutzprojekte wie etwa Waldaufforstungen.Lässt es Sie nicht verzweifeln, dass immer noch große wirtschaftliche und politische Strukturen gegen den Klimaschutz stehen?Nein, nach 25 Jahren in der Wissenschaft weiß ich, dass es immer wieder auf und ab geht. Besonders ermutigend finde ich aktuell die ungeheuer starke demokratische Klimaschutzbewegung von jungen Leuten rund um den Globus. Diesen Druck von unten brauchen wir! Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.Für weitere Artikel von Online-Magazin des Goethe-Instituts China klicken Sie auf „Read More“.