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Deutsche Wähler im Ausland: Vergessen von der Politik

Gudula Geuther 北京德国文化中心歌德学院
2024-09-02

@Mika Baumeister © unsplash.com 


Von den etwa drei bis vier Millionen Deutschen, die im Ausland leben, nimmt nur ein Bruchteil an Wahlen in Deutschland teil. Bürokratische Hürden erschweren es ihnen, ihre Stimme abzugeben. Damit auch ihre Interessen in Berlin berücksichtigt werden, fordern einige Auslandsdeutsche ein einfacheres Wahlrecht.


Von Gudula Geuther



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Vor allem aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zogen Anfang der 2000er-Jahre Deutsche nach Norwegen. Dort gab es Arbeit, daheim nicht. Viele von denen, die damals in geförderte Sprachkurse und Praktika vermittelt wurden, sind dort geblieben – und treffen sich noch immer.


„Man diskutiert ja hier auch“, und verfolgt aus der Ferne die deutsche Politik, berichtet Jan Dohnert, er ist einer von ihnen.


„Und es passiert ja auch jetzt viel und polarisiert ja auch, dieses Jahr, diese Wahl, würde ich sagen. Und viele von meinen Bekannten und Freunden hier, die auch Deutsche sind, sind ja auch interessiert, wie es jetzt weitergeht.“


Wählen allerdings will fast keiner von ihnen – zu umständlich sei das.


„Die machen sich eigentlich immer lustig über mich, dass ich mich so aufrege und mir die Arbeit mache.“


Wie viele Wahlberechtigte im Ausland leben, darüber gibt es keine Statistik. Schätzungen gehen davon aus, dass drei bis vier Millionen deutsche Staatsbürger im Ausland leben – die meisten in Europa, gefolgt von Nordamerika. So unklar also ihre Zahl ist, eines steht fest: Nur ein Bruchteil von ihnen nimmt an der Wahl teil. Ganz grob geschätzt könnte es jeder Dreißigste sein. Denn so viel zumindest weiß die Behörde des Bundeswahlleiters:


„Bei der Bundestagswahl 2017 haben sich 112.989 wahlberechtigte Auslandsdeutsche in Wählerverzeichnisse eintragen lassen. Wie viele danach von ihrem Wahlrecht tatsächlich Gebrauch gemacht haben, ist nicht bekannt.“


Einige finden, das sei viel zu wenig. Auch wenn tatsächlich wohl sehr viel mehr Deutsche im Ausland wählen, als aus dieser Statistik hervorgeht. Denn ins Wählerverzeichnis muss sich nur eintragen lassen, wer nicht mehr in Deutschland gemeldet ist. Nur diese Auslandsdeutschen gehen also in die Statistik des Bundeswahlleiters ein. Ganz offenbar, so scheint es nach vielen Gesprächen mit im Ausland lebenden Deutschen, bleiben aber viele im Inland gemeldet. Das Gesetz sieht das zwar eigentlich nicht so vor. Aber Behördengänge sind nun einmal einfacher, wenn sie im Urlaub bei der Gemeinde erledigt werden können als im Land des Wohnsitzes bei der Botschaft.



Eintrag ins deutsche Wählerverzeichnis


Thomas Fröhlich lebt seit zehn Jahren in London, engagiert sich im dortigen Freundeskreis der SPD – und für ein einfacheres Wahlrecht für Auslandsdeutsche. Er beklagt, ein Termin etwa bei der Londoner Auslandsvertretung sei schwer zu bekommen. Und wer zum Beispiel seinen Pass verlängern lassen will, braucht dafür im Ausland eine Geburtsurkunde.


„Was sich jetzt vielleicht trivial anhört, aber gleichzeitig auch nicht üblich ist in Deutschland.“


Thomas Fröhlich spricht aus Erfahrung, er ist in London gemeldet – was auch das Wählen umständlicher macht. Denn wer noch in Deutschland gemeldet ist, lässt sich einfach die Briefwahlunterlagen kommen, nicht anders, als wenn er oder sie mal eben im Ausland Urlaub machen würde. Für Auslandsdeutsche, deutsche Staatsbürger, die im Ausland gemeldet sind, kommt dagegen ein weiterer Schritt hinzu: Sie müssen sich zuerst ins deutsche Wählerverzeichnis eintragen lassen.


An sich kein Problem, sollte man meinen. Das dachte auch der in Norwegen wohnende Jan Dohnert. Er verbringt regelmäßig seine Ferien in Deutschland und könnte die Formalia in seiner letzten Heimatgemeinde selbst regeln. Die, so berichtet er, lehne das aber ab und verweise auf die deutsche Botschaft in Oslo. Zu Unrecht, schreibt der Bundeswahlleiter:


„Diese Vorgehensweise ist uns nicht bekannt.“


Tatsächlich kann das Formular auf der Internetseite des Bundeswahlleiters heruntergeladen oder bei dessen Behörde bestellt werden oder auch über die Auslandsvertretungen. Zuständig ist dann aber die Gemeinde, in der der Wahlwillige zuletzt in Deutschland gemeldet war.


@brandsandpeople, © unsplash.com



„Kommen die Wahlunterlagen nicht, ist es in der Regel zu spät, sich zu beschweren.“


Mit den Auskünften, die Jan Dohnert bekam, war er so unzufrieden, dass er sich bei der letzten Bundestagswahl sogar kurzerhand für einige Monate wieder in Deutschland anmeldete. Diesmal hat er die Papiere heruntergeladen. Wie häufig es zu solchen Schwierigkeiten kommt, auch darüber gibt es keine Statistik. Benedict Stefani etwa lebt seit zwei Jahren auf unbestimmte Zeit in Paris und will in diesem Jahr zum ersten Mal von dort aus an der Bundestagswahl teilnehmen. Auch für ihn lief nicht alles glatt:


„Für mich war eine Schwierigkeit, herauszubekommen, was die konkrete Postadresse ist, an die ich es dann senden muss, beziehungsweise das konkrete Büro innerhalb der Stadtverwaltung. Und in der Hinsicht hatte ich dann im Vorhinein schon mal die Stadt kontaktiert und nochmal nachgefragt, an wen ich das schicken muss, hatte da so einen kurzen Austausch von zwei, drei E-Mails.“


Er nimmt das gelassen. Aber nicht jeder Wahlwillige macht sich so viel Mühe. Immerhin:


„Dann hatte ich das abgeschickt und relativ schnell, ich glaube innerhalb von einer Woche oder so eine Antwort bekommen von der Stadt Köln, dass der Antrag eingegangen ist.


Eine solche Bestätigung sei alles andere als selbstverständlich, berichtet dagegen Silvia Schmidt. Sie setzt sich zusammen mit Thomas Fröhlich dafür ein, das Wählen aus dem Ausland zu vereinfachen. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn eine solche Bestätigung für die Gemeinden Pflicht wäre, glaubt sie:


„Die meisten Gemeinden schicken das einfach nicht. Das heißt, man muss darauf hoffen, dass es geklappt hat. Und ob das dann geklappt hat, weiß man erst, wenn dann die Wahlunterlagen ankommen. Wenn die Wahlunterlagen nicht ankommen, dann ist es in der Regel zu spät, sich zu beschweren.



„Geschockt, dass ich von der Wahl ausgeschlossen war“


Würde sich das ändern, wäre es ein erster kleiner Schritt – längst nicht groß genug, finden die beiden Deutschen in London, Schmidt und Fröhlich. Denn auch damit, sagen sie, wäre längst nicht garantiert, dass die Stimmabgabe wirksam klappt. Bei der letzten Wahl zum Europaparlament hat Thomas Fröhlich schlechte Erfahrungen gemacht:


„Ich wollte in Deutschland wählen, doch aufgrund der langen Postlaufzeiten und aufgrund der langen Bearbeitungszeiten kamen meine Wahlunterlagen nicht rechtzeitig in Großbritannien an, weswegen ich dann zum Glück recht kurzfristig und im Vergleich zu Deutschland unbürokratisch hier noch meine Wahlunterlagen anfordern konnte. Aber es hat mich doch geschockt, dass ich aufgrund logistischer Probleme und hoher bürokratischer Anforderungen in Deutschland von der Wahl ausgeschlossen war.“


Die Teilnahme an der Wahl im Wohnsitzland ist keine echte Lösung des Problems. Nur bei der Europawahl stünde diese Option zur Verfügung, in Großbritannien also seit dem Brexit ohnehin nicht mehr. Außerdem standen für Thomas Fröhlich so nur britische Parteien und Politiker zur Wahl, gemeinsame europäische Listen gibt es ja nicht. Das Problem, dass die Post zu lange braucht, gibt es also sogar für Einwohner europäischer Hauptstädte.


Viel dringlicher stellt sich die Situation für die dar, die auf anderen Kontinenten weitab von jeder Stadt leben. In Staaten, in denen die Post für besondere Unzuverlässigkeit bekannt ist, helfen die Botschaften mit der Diplomatenpost von und nach Deutschland. Der Nutzen dieser Hilfe hat freilich Grenzen – immerhin müssen die Unterlagen dann immer noch von der Botschaft zum Wahlwilligen kommen und zurück – vielleicht aufs platte Land.



Abhilfe durch das Internet


Abhilfe wäre auch hier wieder im Kleinen möglich, vor allem mit Hilfe des Internets. Bis online sicher gewählt werden kann, wird zwar noch viel Zeit vergehen. Zumindest die Eintragung ins Wählerverzeichnis sollte aber möglich sein, glauben die beiden Londoner.


Der emeritierte Düsseldorfer Rechtsprofessor Martin Morlok ist einer der führenden Wahlrechtsexperten in Deutschland. Auch er sieht im online-Antrag kein Problem, im Gegenteil:


„Das Wahlrecht muss in seiner praktischen Ausgestaltung eben auch realisierbar sein. Der Gesetzgeber und die Verwaltung müssen dafür sorgen, dass man sein Recht auch wahrnehmen kann. Eine Antwort auf dieses Problem dürfte sein, dass man das auf elektronischem Wege macht. Und dann kann man ja auch sofort eine Bestätigung bekommen, dass man diese Unterlagen beantragt hat.“



„Über Hinterzimmertüren mit Abgeordneten oder Ministern ins Gespräch kommen“


Silvia Schmidt und Thomas Fröhlich fänden auch diese Änderung gut – und doch würde sie ihnen nicht genügen. Sie glauben, dass Auslandsdeutsche eine eigenständigere Stimme in der deutschen Politik bekommen sollten. Die beiden sind überzeugt, dass diese Gruppe gemeinsame Interessen hat, die derzeit untergingen:


„Also ich glaube, viele Deutsche im Ausland fühlen sich einfach vergessen von der deutschen Politik.“


Und die stellt nun einmal die Regeln auf. Thomas Fröhlich erinnert an die Geburtsurkunde, die im Ausland vorgelegt werden muss, im Inland nicht. Er findet, das sollte geändert werden. Aber:


„Wir Deutschen im Ausland haben keine Möglichkeit, diese politische Entscheidung auf einem demokratischen Weg herbeizuführen. Wir müssen über irgendwelche Umwege und Hinterzimmertüren mit Abgeordneten oder Ministern ins Gespräch kommen, um so etwas zu ändern. Und das kann ja wirklich nicht Sinn der Demokratie sein.“


Auslandsdeutsche geben ihre Stimme im Wahlkreis des letzten deutschen Wohnsitzes ab. Die Stimme gehe dort unter, fürchtet die Londoner Anwältin. In Italien und Frankreich ist das zum Beispiel anders. Denn dort werden die Stimmen der im Ausland Wohnenden sichtbar. Dort gibt es – mit unterschiedlichen Regelungen im Einzelnen – Auslandswahlkreise. Wäre das ein Vorbild für Deutschland?



„Bezug zu einem konkreten Wahlkreis vor Ort“


Der Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling ist nicht nur Justiziar der CDU/CSU-Fraktion. Er ist derzeit auch Vorsitzender der Bundestags-Kommission, die sich bis zur Mitte der kommenden Legislaturperiode über eine Neugestaltung des Wahlrechts Gedanken machen soll. Er verteidigt den deutschen Weg:


„Es ist eben gerade der Ansatzpunkt des deutschen Wahlrechts, den Bezug zu einem konkreten Wahlkreis vor Ort zu sehen. Das halte ich grundsätzlich auch für richtig. Deswegen sind Auslandswahlkreise sicherlich schwierig. Auch weil ich mir überhaupt gar nicht richtig vorstellen könnte – wir sind natürlich da sehr differenziert in vielen Ländern der Welt. Wie will man das dann in Wahlkreisen zusammenfassen?“


Ganz abgesehen davon weist er auf eine politische Schwierigkeit hin: Damit der Bundestag nicht immer größer wird, gibt es an sich das politische Ziel, die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren.


In der Praxis ist das schon schwierig genug, ohne dass neue Wahlkreise dazukommen. Der Wahlrechtsexperte Martin Morlok ist ohnehin nicht überzeugt, dass die Interessen der Auslandsdeutschen auf diese Weise besonders gut zur Geltung kämen:


„Ob jemand, der also jetzt irgendwie als Manager in Sao Paulo sitzt, ob der wirklich sehr viel gemein hat mit den Leuten, die vor Jahrzehnten nach Australien ausgewandert sind – also, da müsste man näher hingucken.“


Für viele Deutsche im Ausland ist die Frage, wie genau sie repräsentiert werden, ob über den Heimatwahlkreis oder einen Auslandswahlkreis, fast schon ein Luxusproblem. Für sie lautet die Frage: Dürfen sie überhaupt ihre Stimme abgeben? Denn dafür reichen deutsche Staatsbürgerschaft und Volljährigkeit allein nicht aus. Der Wahlrechtsexperte Martin Morlok erläutert, im Grundsatz sei es zwar so:


„Die Wahlen sind ja ein Kernstück der Demokratie. Die Grundidee ist ja doch, dass das Volk die Politik bestimmen kann, wesentlich über Wahlen. Und deswegen haben wir verfassungsrechtlich die beiden Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl. Alle Deutschen sollen in gleicher Weise die Politik mitbestimmen können.“


@biancablah, © unsplash.com



„Nur, wer auch die Suppe auslöffelt, darf sie auch einbrocken“


Aber dieser Grundsatz könne Grenzen haben, denn:


„Demokratie heißt ja letztlich Selbstbestimmung des Volkes. Und deswegen versucht man auszuschließen, dass Leute, die der deutschen Politik nicht unterliegen, mitwählen können. Anders formuliert: Nur, wer auch die Suppe auslöffelt, darf sie auch einbrocken. Und der zweite Gesichtspunkt ist der, dass Wahlen ja Ausdruck einer politischen Bewegung sind, eines politischen Kommunikationsprozesses. Und wer nicht mitbekommt, welche Themen streitig sind, welche Vorschläge gemacht werden, welche Kritik an diesen Vorschlägen geübt wird, wer also nicht in politischen Kommunikationszusammenhang  steht, der soll auch nicht mitwählen dürfen.“


Das leuchtet nicht jedem ein. Thomas Fröhlich, der sich von London aus für ein weiteres und unkompliziertes Wahlrecht aus dem Ausland einsetzt, sieht keinen Grund für solche Einschränkungen:


„Im Grundgesetz steht nicht, dass man eine politische Prüfung ablegen muss, bevor man wählen darf. Es gilt das allgemeine und freie Wahlrecht!“


Wer hat Recht? Eine allgemein gültige Antwort scheint es nicht zu geben. Das zeigt auch der Blick in andere europäische Staaten. Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von 2016 hat die Regeln einiger Länder zusammengestellt. Demnach dürfen etwa Albaner und Tschechen, die im Ausland leben, gar nicht an den Wahlen in ihren Heimatländern teilnehmen, Griechen und Montenegriner nur, wenn sie sich zum Zeitpunkt der Wahl im Land aufhalten. Die Mehrheit der untersuchten Staaten sieht keine Einschränkungen für im Ausland wohnende Staatsbürger vor, einige schon. So spielt bei Dänen unter anderem eine Rolle, ob sie innerhalb der nächsten zwei Jahre vorhaben, ins Heimatland zurückzuziehen. Briten verlieren 15 Jahre nach der Ausreise das Recht zur Teilnahme an nationalen Wahlen.



Deutschland ist immer offener für Auslandswahlen geworden


In Deutschland ist das Gesetz in den vergangenen Jahrzehnten immer offener für Auslandswahlen geworden. Zuerst durften die wählen, die zum Beispiel als Botschaftsangehörige eng mit Deutschland verbunden waren, dann die, die nicht länger als zehn Jahre außer Landes gelebt hatten. 1998 wurde diese Frist auf 25 Jahre verlängert und dann, 2008, für diejenigen ganz gestrichen, die in Mitgliedstaaten des Europarates wohnten. Diese räumliche Eingrenzung wurde so begründet, dass Deutsche in diesen Staaten die Möglichkeit hätten, sich ausreichend über ihr Heimatland zu informieren. Allerdings gab es nach wie vor eine wichtige Einschränkung, berichtet der Wahlrechtsexperte Martin Morlok:


„Wir hatten früher die Regelung: Wer nicht in Deutschland eine Mindestzeit gelebt hat, durfte nicht wählen.“


Betroffene erhoben Wahlrechtsbeschwerde, mit Erfolg.


„Das bedeutete nämlich etwa, dass die Kinder von deutschen Angestellten der Europäischen Kommission in Brüssel, die dort auf die Welt gekommen sind, die aber täglich Tagesschau sehen, deren Eltern jeden Abend über deutsche Politik reden, nicht wählen durften. Und deswegen hat das Verfassungsgericht gesagt: Nein, so geht es nicht.“


@element5digital, © unsplash.com



„Vertraut mit den deutschen Verhältnissen“


2012 entschied das Bundesverfassungsgericht: Das Wahlrecht muss in diesem Punkt neu geschrieben werden. Das Ergebnis ist die heutige Regelung: Wahlberechtigt ist, wer nach dem 14. Geburtstag mindestens drei Monate lang ununterbrochen in Deutschland gelebt hat, wenn das nicht länger als 25 Jahre her ist. Wer diese Voraussetzung nicht erfüllt, darf dann trotzdem wählen, wenn er oder sie belegen kann, trotzdem mit den Verhältnissen in Deutschland vertraut zu sein und von ihnen betroffen zu sein.


Das klingt ziemlich abstrakt. Auf den Seiten des Bundeswahlleiters gibt es Beispiele. Wählen darf, wer als Grenzgänger in Deutschland arbeitet, wer fast bis zum 14. Geburtstag in Deutschland gelebt hat und immer wieder die Ferien im Land verbringt oder wer sich in Vereinen und Verbänden, zum Beispiel in Bürgerinitiativen oder Landsmannschaften engagiert. Spätestens im letzten Punkt wird es schwammig.


„Dass man vertraut sein muss mit den deutschen politischen Verhältnissen, das ist natürlich nicht greifbar.“


So lautet auch die Wertung des Wahlrechtsexperten Morlok. Schon die damalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff habe sich in einem Sondervotum distanziert, als die Verfassungsrichter 2012 eine solche Regelung anregten.


„… hat eben gespottet: An wie viel Karnevalssitzungen muss man teilgenommen haben? Muss man mitgeschunkelt haben oder nicht? Also, das ist ein äußerst unglückliches Kriterium“, so Morlok.



„Gutdünken der jeweiligen Beamten“


Der Londoner Thomas Fröhlich, der sich für einen einfacheren Zugang zur Wahl aus dem Ausland einsetzt, weist darauf hin, dass die Frage „wahlberechtigt oder nicht?“ jede einzelne Gemeinde beantworten muss. Einheitliche Richtlinien gebe es nicht:


„Man ist einfach dem Gutdünken der jeweiligen Beamten ausgesetzt. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die jeweiligen Beamten das wohlwollend auslegen. Gleichzeitig gibt es aber eben auch die Fälle, in denen Leuten dann viel zu spät die Absage erteilt wird, in einem Zeitrahmen, wo eine Beschwerde dann praktisch nicht mehr möglich ist.“



„Eine Selbstverständlichkeit, weiterhin wählen zu können“


„Es ist umständlich“, findet zwar Elisabeth Humbert-Dorfmüller und meint damit das gesamte Verfahren. Sie wohnt seit langem in Paris, hat inzwischen auch die französische Staatsangehörigkeit. Und will trotzdem auf jeden Fall an der deutschen Bundestagswahl teilnehmen.


„Ich bin parteipolitisch immer aktiv gewesen eigentlich und auch politisch immer interessiert gewesen. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, weiterhin wählen zu können.“


In ihrem Fall war der Nachweis der Vertrautheit mit deutschen Verhältnissen einfach.


„Ich habe den einfachsten Weg gewählt. Da ich SPD-Parteimitglied bin, habe ich einfach die erste Seite meines Parteibuchs in Kopie da hingeschickt zum Bürgeramt und die zwei Male, wo ich das jetzt gemacht habe, hat das auch reibungslos funktioniert.“


Die Parteimitgliedschaft ist sogar eines der Regelbeispiele, die der Bundeswahlleiter im Internet nennt. Elisabeth Humbert-Dorfmüller findet das Verfahren trotzdem seltsam:


„Man muss sich irgendwie rechtfertigen. Und da das mit dem Parteibuch das einfachste war und das, was man am wenigsten anfechten kann, habe ich das gemacht. Aber es ist eigentlich nicht normal. Weil es irgendwie schon das Wahlgeheimnis veröffentlicht in gewisser Weise. Und das sollte eigentlich nicht sein.“


„Mir fällt auch nichts Besseres ein“, gesteht Martin Morlok zu – mit Blick auf die schwammigen Voraussetzungen bezüglich der Wahl.


„Wahrscheinlich ist es richtig, dass man rein formale Kriterien macht und keine inhaltlich anspruchsvollen wie diese Vertrautheit. Das funktioniert nicht.“



„Ich gebe die Hoffnung nicht auf!“


Silvia Schmidt und Thomas Fröhlich aus London finden, es sollte keine Beschränkungen mehr geben. Elisabeth Humbert-Dorfmüller meint, wer aus dem Ausland wählt, nehme dabei so viele Umstände in Kauf, dass damit schon genug Verbundenheit mit Deutschland unter Beweis gestellt sei. Manches spricht dafür, dass sich der Gesetzgeber die Regeln noch einmal vornimmt – oder zuerst die Wahlrechtskommission des Bundestages. So ganz sei das nicht ihr Auftrag, denkbar sei es, sagt ihr Vorsitzender Ansgar Heveling. Aber natürlich könnten sich Parteien und Bundestag vornehmen, was sie wollten.


Ausgeschlossen ist das nicht – angesichts von mehreren Millionen potentiellen Wählern.


„Ich gebe die Hoffnung da nicht auf!“


Elisabeth Humbert-Dorfmüller ist zuversichtlich:


„Die Deutschen sind das noch nicht so gewohnt wie die Franzosen oder die Italiener. Also die Deutsche Emigration ist vielleicht noch nicht so alt oder noch nicht so massiv in verschiedene Regionen dieser Welt. Und es kann ja sein, dass die Deutschen da noch dazulernen müssen und sich in Zukunft vielleicht enger um Deutsche im Ausland kümmern werden.“


Kopierecht: © Deutschlandradio 2021



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