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里尔克《贫穷与死亡之书》

奥地利 星期一诗社 2024-01-10

Das Buch von der Armut und vom Tode

(1903)



Vielleicht, daß ich durch schwere Berge gehe

in harten Adern, wie ein Erz allein;

und bin so tief, daß ich kein Ende sehe

und keine Ferne: alles wurde Nähe,

und alle Nähe wurde Stein.


Ich bin ja noch kein Wissender im Wehe, –

so macht mich dieses große Dunkel klein;

bist du es aber: mach dich schwer, brich ein:

daß deine ganze Hand an mir geschehe

und ich an dir mit meinem ganzen Schrein.




Du Berg, der blieb, da die Gebirge kamen, –

Hang ohne Hütten, Gipfel ohne Namen,

ewiger Schnee, in dem die Sterne lahmen,

und Träger jener Tale der Zyklamen,

aus denen aller Duft der Erde geht;

du, aller Berge Mund und Minaret

(von dem noch nie der Abendruf erschallte):


Geh ich in dir jetzt? Bin ich im Basalte

wie ein noch ungefundenes Metall?

Ehrfürchtig füll ich deine Felsenfalte,

und deine Härte fühl ich überall.


Oder ist das die Angst, in der ich bin?

die tiefe Angst der übergroßen Städte,

in die du mich gestellt hast bis ans Kinn?


O daß dir einer recht geredet hätte

von ihres Wesens Wahn und Abersinn.

Du stündest auf, du Sturm aus Anbeginn,

und triebest sie wie Hülsen vor dir hin ...


Und willst du jetzt von mir: so rede recht, –

so bin ich nicht mehr Herr in meinem Munde,

der nichts als zugehn will wie eine Wunde;

und meine Hände halten sich wie Hunde

an meinen Seiten, jedem Ruf zu schlecht.


Du zwingst mich, Herr, zu einer fremden Stunde.




Mach mich zum Wächter deiner Weiten,

mach mich zum Horchenden am Stein,

gib mir die Augen auszubreiten

auf deiner Meere Einsamsein;

laß mich der Flüsse Gang begleiten

aus dem Geschrei zu beiden Seiten

weit in den Klang der Nacht hinein.

Schick mich in deine leeren Länder,

durch die die weiten Winde gehn,

wo große Klöster wie Gewänder

um ungelebte Leben stehn.

Dort will ich mich zu Pilgern halten,

von ihren Stimmen und Gestalten

durch keinen Trug mehr abgetrennt,

und hinter einem blinden Alten

des Weges gehn, den keiner kennt.




Denn Herr, die großen Städte sind

Verlorene und Aufgelöste;

wie Flucht vor Flammen ist die größte, –

und ist kein Trost, daß er sie tröste,

und ihre kleine Zeit verrinnt.


Da leben Menschen, leben schlecht und schwer,

in tiefen Zimmern, bange von Gebärde,

geängsteter denn eine Erstlingsherde;

und draußen wacht und atmet deine Erde,

sie aber sind und wissen es nicht mehr.


Da wachsen Kinder auf an Fensterstufen,

die immer in demselben Schatten sind,

und wissen nicht, daß draußen Blumen rufen

zu einem Tag voll Weite, Glück und Wind, –

und müssen Kind sein und sind traurig Kind.


Da blühen Jungfraun auf zum Unbekannten

und sehnen sich nach ihrer Kindheit Ruh;

das aber ist nicht da, wofür sie brannten,

und zitternd schließen sie sich wieder zu.

Und haben in verhüllten Hinterzimmern

die Tage der enttäuschten Mutterschaft,

der langen Nächte willenloses Wimmern

und kalte Jahre ohne Kampf und Kraft.

Und ganz im Dunkel stehn die Sterbebetten,

und langsam sehnen sie sich dazu hin;

und sterben lange, sterben wie in Ketten

und gehen aus wie eine Bettlerin.



Da leben Menschen, weißerblühte, blasse,

und sterben staunend an der schweren Welt.

Und keiner sieht die klaffende Grimasse,

zu der das Lächeln einer zarten Rasse

in namenlosen Nächten sich entstellt.


Sie gehn umher, entwürdigt durch die Müh,

sinnlosen Dingen ohne Mut zu dienen,

und ihre Kleider werden welk an ihnen,

und ihre schönen Hände altern früh.


Die Menge drängt und denkt nicht sie zu schonen,

obwohl sie etwas zögernd sind und schwach, –

nur scheue Hunde, welche nirgends wohnen,

gehn ihnen leise eine Weile nach.


Sie sind gegeben unter hundert Quäler,

und, angeschrien von jeder Stunde Schlag,

kreisen sie einsam um die Hospitäler

und warten angstvoll auf den Einlaßtag.


Dort ist der Tod. Nicht jener, dessen Grüße

sie in der Kindheit wundersam gestreift, –

der kleine Tod, wie man ihn dort begreift;

ihr eigener hängt grün und ohne Süße

wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift.




O Herr, gib jedem seinen eignen Tod,

das Sterben, das aus jenem Leben geht,

darin er Liebe hatte, Sinn und Not.




Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.

Der große Tod, den jeder in sich hat,

das ist die Frucht, um die sich alles dreht.


Um ihretwillen heben Mädchen an

und kommen wie ein Baum aus einer Laute,

und Knaben sehnen sich um sie zum Mann;

und Frauen sind den Wachsenden Vertraute

für Ängste, die sonst niemand nehmen kann.

Um ihretwillen bleibt das Angeschaute

wie Ewiges, auch wenn es lang verrann, –

und jeder, welcher bildete und baute,

ward Welt um diese Frucht und fror und taute

und windete ihr zu und schien sie an.

In sie ist eingegangen alle Wärme,

der Herzen und der Hirne weißes Glühn –:

Doch deine Engel ziehn wie Vogelschwärme,

und sie erfanden alle Früchte grün.




HERR: wir sind ärmer denn die armen Tiere,

die ihres Todes enden, wenn auch blind,

weil wir noch alle ungestorben sind.

Den gib uns, der die Wissenschaft gewinnt,

das Leben aufzubinden in Spaliere,

um welche zeitiger der Mai beginnt.


Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer,

daß es nicht _unser_ Tod ist; einer, der

uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen;

drum geht ein Sturm, uns alle abzustreifen.


Wir stehn in deinem Garten Jahr und Jahr

und sind die Bäume, süßen Tod zu tragen;

aber wir altern in den Erntetagen,

und so wie Frauen, welche du geschlagen,

sind wir verschlossen, schlecht und unfruchtbar.


Oder ist meine Hoffart ungerecht:

sind Bäume besser? Sind wir nur Geschlecht

und Schoß von Frauen, welche viel gewähren? –

Wir haben mit der Ewigkeit gehurt,

und wenn das Kreißbett da ist, so gebären

wir unsres Todes tote Fehlgeburt;

den krummen, kummervollen Embryo,

der sich (als ob ihn Schreckliches erschreckte)

die Augenkeime mit den Händen deckte

und dem schon auf der ausgebauten Stirne

die Angst von allem steht, was er nicht litt, –

und alle schließen so wie eine Dirne

in Kindbettkrämpfen und am Kaiserschnitt.




Mach Einen herrlich, Herr, mach Einen groß,

bau seinem Leben einen schönen Schoß,

und seine Scham errichte wie ein Tor

in einem blonden Wald von jungen Haaren,

und ziehe durch das Glied des Unsagbaren

den Reisigen den weißen Heeresscharen,

den tausend Samen, die sich sammeln, vor.

Und eine Nacht gib, daß der Mensch empfinge,

was keines Menschen Tiefen noch betrat;

gib eine Nacht: da blühen alle Dinge,

und mach sie duftender als die Syringe

und wiegender denn deines Windes Schwinge

und jubelnder als Josaphat.

Und gib ihm eines langen Tragens Zeit

und mach ihn weit in wachsenden Gewändern,

und schenk ihm eines Sternes Einsamkeit,

daß keines Auges Staunen ihn beschreit,

wenn seine Züge schmelzend sich verändern.


Erneue ihn mit einer reinen Speise,

mit Tau, mit ungetötetem Gericht,

mit jenem Leben, das wie Andacht leise

und warm wie Atem aus den Feldern bricht.


Mach, daß er seine Kindheit wieder weiß;

das Unbewußte und das Wunderbare

und seiner ahnungsvollen Anfangsjahre

unendlich dunkelreichen Sagenkreis.


Und also heiß ihn seiner Stunde warten,

da er den Tod gebären wird, den Herrn:

allein und rauschend wie ein großer Garten

und ein Versammelter aus fern.




Das letzte Zeichen laß an uns geschehen,

erscheine in der Krone deiner Kraft,

und gib uns jetzt (nach aller Weiber Wehen)

des Menschen ernste Mutterschaft.

Erfülle, du gewaltiger Gewährer,

nicht jenen Traum der Gottgebärerin, –

richt auf den Wichtigen: den Tod-Gebärer,

und führ uns mitten durch die Hände derer,

die ihn verfolgen werden, zu ihm hin.

Denn sieh, ich sehe seine Widersacher,

und sie sind mehr als Lügen in der Zeit, –

und er wird aufstehn in dem Land der Lacher

und wird ein Träumer heißen: denn ein Wacher

ist immer Träumer unter Trunkenheit.


Du aber gründe ihn in deine Gnade,

in deinem alten Glanze pflanz ihn ein;

und mich laß Tänzer dieser Bundeslade,

laß mich den Mund der neuen Messiade,

den Tönenden, den Täufer sein.




Ich will ihn preisen. Wie vor einen Heere

die Hörner gehen, will ich gehn und schrein.

Mein Blut soll lauter rauschen denn die Meere,

mein Wort soll süß sein, daß man sein begehre,

und doch nicht irremachen wie der Wein.


Und in den Frühlingsnächten, wenn nicht viele

geblieben sind um meine Lagerstatt,

dann will ich blühn in meinem Saitenspiele

so leise wie die nördlichen Aprile,

die spät und ängstlich sind um jedes Blatt.


Denn meine Stimme wuchs nach zweien Seiten

und ist ein Duften worden und ein Schrein:

die eine will den Fernen vorbereiten,

die andere muß meiner Einsamkeiten

Gesicht und Seligkeit und Engel sein.




Und gib, daß beide Stimmen mich begleiten,

streust du mich wieder aus in Stadt und Angst.

Mit ihnen will ich sein im Zorn der Zeiten

und dir aus meinem Klang ein Bett bereiten

an jeder Stelle, wo du es verlangst.




Die großen Städte sind nicht wahr; sie täuschen

den Tag, die Nacht, die Tiere und das Kind;

ihr Schweigen lügt, sie lügen mit Geräuschen

und mit den Dingen, welche willig sind.

Nichts von dem weiten wirklichen Geschehen,

das sich um dich, du Werdender, bewegt,

geschieht in ihnen. Deiner Winde Wehen

fällt in die Gassen, die es anders drehen,

ihr Rauschen wird im Hin- und Widergehen

verwirrt, gereizt und aufgeregt.

Sie kommen auch zu Beeten und Alleen –:




Denn Gärten sind, – von Königen gebaut,

die eine kleine Zeit sich drin vergnügten

mit jungen Frauen, welche Blumen fügten

zu ihres Lachens wunderlichem Laut.

Sie hielten diese müden Parke wach;

sie flüsterten wie Lüfte in den Büschen,

sie leuchteten in Pelzen und in Plüschen,

und ihrer Morgenkleider Seidenrüschen

erklangen auf dem Kiesweg wie ein Bach.


Jetzt gehen ihnen alle Gärten nach –

und fügen still und ohne Augenmerk

sich in des fremden Frühlings helle Gammen

und brennen langsam mit des Herbstes Flammen

auf ihrer Äste großem Rost zusammen,

der kunstvoll wie aus tausend Monogrammen

geschmiedet scheint zu schwarzem Gitterwerk.

Und durch die Gärten blendet der Palast

(wie blasser Himmel mit verwischtem Lichte),

in seiner Säle welke Bilderlast

versunken wie in innere Gesichte,

fremd jedem Feste, willig zum Verzichte

und schweigsam und geduldig wie ein Gast.




Dann sah ich auch Paläste, welche leben;

sie brüsten sich den schönen Vögeln gleich,

die eine schlechte Stimme von sich geben.

Viele sind reich und wollen sich erheben, –

aber die Reichen _sind_ nicht reich.


Nicht wie die Herren deiner Hirtenvölker,

der klaren, grünen Ebenen Bewölker,

wenn sie mit schummerigem Schafgewimmel

darüber zogen wie ein Morgenhimmel.

Und wenn sie lagerten und die Befehle

verklungen waren in der neuen Nacht,

dann wars, als sei jetzt eine andre Seele

in ihrem flachen Wanderland erwacht –:

Die dunklen Höhenzüge der Kamele

umgaben es mit der Gebirge Pracht.


Und der Geruch der Rinderherden lag

dem Zuge nach bis in den zehnten Tag,

war warm und schwer und wich dem Wind nicht aus.

Und wie in einem hellen Hochzeitshaus

die ganze Nacht die reichen Weine rinnen:

so kam die Milch aus ihren Eselinnen.


Und nicht wie jene Scheichs der Wüstenstämme,

die nächtens auf verwelktem Teppich ruhten,

aber Rubinen ihren Lieblingsstuten

einsetzen ließen in die Silberkämme.


Und nicht wie jene Fürsten, die des Golds

nicht achteten, das keinen Duft erfand,

und deren stolzes Leben sich verband

mit Ambra, Mandelöl und Sandelholz.


Nicht wie des Ostens weißer Gossudar,

dem Reiche eines Gottes Recht erwiesen;

er aber lag mit abgehärmtem Haar,

die alte Stirne auf des Fußes Fliesen,

und weinte, – weil aus allen Paradiesen

nicht _eine_ Stunde seine war.


Nicht wie die Ersten alter Handelshäfen,

die sorgten, wie sie ihre Wirklichkeit

mit Bildern ohnegleichen überträfen

und ihre Bilder wieder mit der Zeit;

und die in ihres goldnen Mantels Stadt

zusammgefaltet waren wie ein Blatt,

nur leise atmend mit den weißen Schläfen ...


Das waren Reiche, die das Leben zwangen

unendlich weit zu sein und schwer und warm.

Aber der Reichen Tage sind vergangen,

und keiner wird sie dir zurückverlangen,

nur mach die Armen endlich wieder arm.




Sie sind es nicht. Sie sind nur die Nicht-Reichen,

die ohne Willen sind und ohne Welt;

gezeichnet mit der letzten Ängste Zeichen

und überall entblättert und entstellt.

Zu ihnen drängt sich aller Staub der Städte,

und aller Unrat hängt sich an sie an.

Sie sind verrufen wie ein Blatternbette,

wie Scherben fortgeworfen, wie Skelette,

wie ein Kalender, dessen Jahr verrann, –

und doch: wenn deine Erde Nöte hätte:

sie reihte sie an eine Rosenkette

und trüge sie wie einen Talisman.

Denn sie sind reiner als die reinen Steine

und wie das blinde Tier, das erst beginnt,

und voller Einfalt und unendlich deine

und wollen nichts und brauchen nur das _eine:_


so arm sein dürfen, wie sie wirklich sind.




Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen ...




Du bist der Arme, du der Mittellose,

du bist der Stein, der keine Stätte hat,

du bist der fortgeworfene Leprose,

der mit der Klapper umgeht vor der Stadt.


Denn dein ist nichts, so wenig wie des Windes,

und deine Blöße kaum bedeckt der Ruhm;

das Alltagskleidchen eines Waisenkindes

ist herrlicher und wie ein Eigentum.


Du bist so arm wie eines Keimes Kraft

in einem Mädchen, das es gern verbürge

und sich die Lenden preßt, daß sie erwürge

das erste Atmen ihrer Schwangerschaft.

Und du bist arm: so wie der Frühlingsregen,

der selig auf der Städte Dächer fällt,

und wie ein Wunsch, wenn Sträflinge ihn hegen

in einer Zelle, ewig ohne Welt.

Und wie die Kranken, die sich anders legen

und glücklich sind; wie Blumen in Geleisen

so traurig arm im irren Wind der Reisen;

und wie die Hand, in die man weint, so arm ...


Und was sind Vögel gegen dich, die frieren,

was ist ein Hund, der tagelang nicht fraß,

und was ist gegen dich das Sichverlieren,

das stille lange Traurigsein von Tieren,

die man als Eingefangene vergaß?


Und alle Armen in den Nachtasylen,

was sind sie gegen dich und deine Not?

Sie sind nur kleine Steine, keine Mühlen,

aber sie mahlen doch ein wenig Brot.


Du aber bist der tiefste Mittellose,

der Bettler mit verborgenem Gesicht;

du bist der Armut große Rose,

die ewige Metamorphose

des Goldes in das Sonnenlicht.


Du bist der leise Heimatlose,

der nicht mehr einging in die Welt:

zu groß und schwer zu jeglichem Bedarfe.

Du heulst im Sturm. Du bist wie eine Harfe,

an welcher jeder Spielende zerschellt.




Du, der du weißt und dessen weites Wissen

aus Armut ist und Armutsüberfluß:

Mach, daß die Armen nicht mehr fortgeschmissen

und eingetreten werden in Verdruß.

Die andern Menschen sind wie ausgerissen;

sie aber stehn wie eine Blumenart

aus Wurzeln auf und duften wie Melissen,

und ihre Blätter sind gezackt und zart.




Betrachte sie und sieh, was ihnen gliche:

sie rühren sich wie in den Wind gestellt

und ruhen aus wie etwas, was man hält.

In ihren Augen ist das feierliche

Verdunkeltwerden lichter Wiesenstriche,

auf die ein rascher Sommerregen fällt.




Sie sind so still; fast gleichen sie den Dingen.

Und wenn man sich sie in die Stube lädt,

sind sie wie Freunde, die sich wiederbringen,

und gehn verloren unter dem Geringen

und dunkeln wie ein ruhiges Gerät.


Sie sind wie Wächter bei verhängten Schätzen,

die sie bewahren, aber selbst nicht sahn, –

getragen von den Tiefen wie ein Kahn,

und wie das Leinen auf den Bleicheplätzen

so ausgebreitet und so aufgetan.




Und sieh, wie ihrer Füße Leben geht:

wie das der Tiere, hundertfach verschlungen

mit jedem Wege; voll Erinnerungen

an Stein und Schnee und an die leichten, jungen,

gekühlten Wiesen, über die es weht.


Sie haben Leid von jenem großen Leide,

aus dem der Mensch zu kleinem Kummer fiel;

des Grases Balsam und der Steine Schneide

ist ihnen Schicksal, – und sie lieben beide

und gehen wie auf deiner Augen Weide

und so wie Hände gehn im Saitenspiel.




Und ihre Hände sind wie die von Frauen

und irgendeiner Mutterschaft gemäß;

so heiter wie die Vögel, wenn sie bauen, –

im Fassen warm und ruhig im Vertrauen,

und anzufühlen wie ein Trinkgefäß.




Ihr Mund ist wie der Mund an einer Büste,

der nie erklang und atmete und küßte

und doch aus einem Leben, das verging,

das alles, weise eingeformt, empfing,

und sich nun wölbt, als ob er alles wüßte –

und doch nur Gleichnis ist und Stein und Ding ...




Und ihre Stimme kommt von ferneher

und ist vor Sonnenaufgang aufgebrochen

und war in großen Wäldern, geht seit Wochen

und hat im Schlaf mit Daniel gesprochen

und hat das Meer gesehn und sagt vom Meer.




Und wenn sie schlafen, sind sie wie an alles

zurückgegeben, was sie leise leiht,

und weit verteilt wie Brot in Hungersnöten

an Mitternächte und an Morgenröten

und sind wie Regen voll des Niederfalles

in eines Dunkels junge Fruchtbarkeit.

Dann bleibt nicht eine Narbe ihres Namens

auf ihrem Leib zurück, der keimbereit

sich bettet wie der Samen jenes Samens,

aus dem du stammen wirst von Ewigkeit.




Und sieh: ihr Leib ist wie ein Bräutigam

und fließt im Liegen hin gleich einem Bache

und lebt so schön wie eine schöne Sache,

so leidenschaftlich und so wundersam.

In seiner Schlankheit sammelt sich das Schwache,

das Bange, das aus vielen Frauen kam;

doch sein Geschlecht ist stark und wie ein Drache

und wartet schlafend in dem Tal der Scham.




Denn sieh: sie werden leben und sich mehren

und nicht bezwungen werden von der Zeit

und werden wachsen wie des Waldes Beeren,

den Boden bergend unter Süßigkeit.


Denn selig sind, die niemals sich entfernten

und still im Regen standen ohne Dach;

zu ihnen werden kommen alle Ernten,

und ihre Frucht wird voll sein tausendfach.


Sie werden dauern über jedes Ende

und über Reiche, deren Sinn verrinnt,

und werden sich wie ausgeruhte Hände

erheben, wenn die Hände aller Stände

und aller Völker müde sind.




Nur nimm sie wieder aus der Städte Schuld,

wo ihnen alles Zorn ist und verworren

und wo sie in den Tagen aus Tumult

verdorren mit verwundeter Geduld.


Hat denn für sie die Erde keinen Raum?

Wen sucht der Wind? Wer trinkt des Baches Helle?

Ist in der Teiche tiefem Ufertraum

kein Spiegelbild mehr frei für Tür und Schwelle?

Sie brauchen ja nur eine kleine Stelle,

auf der sie alles haben wie ein Baum.




Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein,

drin wandelt sich das Ewige zur Speise,

und wenn der Abend kommt, so kehrt es leise

zu sich zurück in einem weiten Kreise

und geht voll Nachklang langsam in sich ein.

Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein.


Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.

Sie nimmt nicht, was Erwachsene verlangen;

nur einen Käfer mit verzierten Zangen,

den runden Stein, der durch den Bach gegangen,

den Sand, der rann, und Muscheln, welche klangen;

sie ist wie eine Wage aufgehangen

und sagt das allerleiseste Empfangen

langschwankend an mit ihrer Schalen Stand.

Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.


Und wie die Erde ist des Armen Haus:

Der Splitter eines künftigen Kristalles,

bald licht, bald dunkel in der Flucht des Falles;

arm wie die warme Armut eines Stalles, –

und doch sind Abende: da ist sie alles,

und alle Sterne gehen von ihr aus.




Die Städte aber wollen nur das Ihre

und reißen alles mit in ihren Lauf.

Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere

und brauchen viele Völker brennend auf.


Und ihre Menschen dienen in Kulturen

und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,

und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren

und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,

und fühlen sich und funkeln wie die Huren

und lärmen lauter mit Metall und Glas.


Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,

sie können gar nicht mehr sie selber sein;

das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte

und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein

und ausgehohlt und warten, daß der Wein

und alles Gift der Tier- und Menschensäfte

sie reize zu vergänglichem Geschäfte.




Und deine Armen leiden unter diesen

und sind von allem, was sie schauen, schwer

und glühen frierend wie in Fieberkrisen

und gehn, aus jeder Wohnung ausgewiesen,

wie fremde Tote in der Nacht umher;

und sind beladen mit dem ganzen Schmutze

und wie in Sonne Faulendes bespien, –

von jedem Zufall, von der Dirnen Putze,

von Wagen und Laternen angeschrien.


Und gibt es einen Mund zu ihrem Schutze,

so mach ihn mündig und bewege ihn.




O wo ist der, der aus Besitz und Zeit

zu seiner großen Armut so erstarkte,

daß er die Kleider abtat auf dem Markte

und bar einherging vor des Bischofs Kleid.

Der Innigste und Liebendste von allen,

der kam und lebte wie ein junges Jahr;

der braune Bruder deiner Nachtigallen,

in dem ein Wundern und ein Wohlgefallen

und ein Entzücken an der Erde war.


Denn er war keiner von den immer Müdern,

die freudeloser werden nach und nach,

mit kleinen Blumen wie mit kleinen Brüdern

ging er den Wiesenrand entlang und sprach.

Und sprach von sich und wie er sich verwende,

so daß es allem eine Freude sei;

und seines hellen Herzens war kein Ende,

und kein Geringes ging daran vorbei.

Er kam aus Licht zu immer tieferm Lichte,

und seine Zelle stand in Heiterkeit.

Das Lächeln wuchs auf seinem Angesichte

und hatte seine Kindheit und Geschichte

und wurde reif wie eine Mädchenzeit.


Und wenn er sang, so kehrte selbst das Gestern

und das Vergessene zurück und kam;

und eine Stille wurde in den Nestern,

und nur die Herzen schrieen in den Schwestern,

die er berührte wie ein Bräutigam.


Dann aber lösten seines Liedes Pollen

sich leise los aus seinem roten Mund

und trieben träumend zu den Liebevollen

und fielen in die offenen Corollen

und sanken langsam auf den Blütengrund.


Und sie empfingen ihn, den Makellosen,

in ihrem Leib, der ihre Seele war.

Und ihre Augen schlossen sich wie Rosen,

und voller Liebesnächte war ihr Haar.


Und ihn empfing das Große und Geringe.

Zu vielen Tieren kamen Cherubim,

zu sagen, daß ihr Weibchen Früchte bringe, –

und waren wunderschöne Schmetterlinge:

denn ihn erkannten alle Dinge

und hatten Fruchtbarkeit aus ihm.

Und als er starb, so leicht wie ohne Namen,

da war er ausgeteilt: sein Samen rann

in Bächen, in den Bäumen sang sein Samen

und sah ihn ruhig aus den Blumen an.

Er lag und sang. Und als die Schwestern kamen,

da weinten sie um ihren lieben Mann.




O wo ist er, der Klare, hingeklungen?

Was fühlen ihn, den Jubelnden und Jungen,

die Armen, welche harren, nicht von fern?


Was steigt er nicht in ihre Dämmerungen –

        der Armut großer Abendstern.





Die Versanfänge



_Erstes Buch:_ Das Buch vom mönchischen Leben (1899)


Da neigt sich die Stunde und rührt mich an

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich habe viele Brüder in Soutanen

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden

Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht

Ich lese es heraus aus deinem Wort

Der blasse Abelknabe spricht

Du Dunkelheit, aus der ich stamme

Ich glaube an alles noch nie Gesagte

Ich bin aus der Welt zu allein und doch nicht allein genug

Du siehst, ich will viel

Wir bauen an dir mit zitternden Händen

Daraus, daß einer dich einmal gewollt hat

Wer seines Lebens viele Widersinne

Was irren meine Hände in den Pinseln?

Ich bin, du Ängstlicher. Hörst du mich nicht

Mein Leben ist nicht diese steile Stunde

Wenn ich gewachsen wäre irgendwo

Ich finde dich in allen diesen Dingen

Ich verrinne, ich verrinne

Sieh, Gott, es kommt ein Neuer an dir bauen

Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister

Du bist so groß, daß ich schon nicht mehr bin

So viele Engel suchen dich im Lichte

Das waren Tage Michelangelos

Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht

Da ward auch die zur Frucht Erweckte

Aber als hätte die Last der Fruchtgehänge

So hat man sie gemalt; vor allem einer

Mit einem Ast, der jenem niemals glich

Ich kann nicht glauben, daß der kleine Tod

Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe? 

Du bist der raunende Verrußte

Du, gestern Knabe, dem die Wirrnis kam

Dann bete du, wie es dich dieser lehrt

Ich habe Hymnen, die ich schweige

Gott, wie begreif ich deine Stunde

Alle, die ihre Hände regen

Der Name ist uns wie ein Licht

Dein allererstes Wort war: Licht

Du kommst und gehst. Die Türen fallen

Du bist der Tiefste, welcher ragte

Ich weiß: Du bist der Rätselhafte

So ist mein Tagwerk, über dem

Ihr vielen unbestürmten Städte

Ich komme aus meinen Schwingen heim

Du wirst nur mit der Tat erfaßt

Mein Leben hat das gleiche Kleid und Haar

Und Gott befiehlt mir, daß ich schriebe

Es tauchten tausend Theologen

Die Dichter haben dich verstreut

Selten ist die Sonne im Sobór

Da trat ich als ein Pilger ein

Wie der Wächter in den Weingeländen

Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht

Ich war bei den ältesten Mönchen

Du dunkelnder Grund, geduldig erträgst du die Mauern

So bin ich nur als Kind erwacht

Daß ich nicht war vor einer Weile

Es lärmt das Licht im Wipfel deines Baumes

Du Williger, und deine Gnade kam

Eine Stunde vom Rande des Tages

Und dennoch: mir geschieht



_Zweites Buch:_ Das Buch von der Pilgerschaft (1901)


Dich wundert nicht des Sturmes Wucht

Ich bete wieder, du Erlauchter

Ich bin derselbe noch, der kniete

Du Ewiger, du hast dich mir gezeigt

Dir ist mein Beten keine Blasphemie

Und seine Sorgfalt ist uns wie ein Alp

Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn

Und meine Seele ist ein Weib vor dir

Du bist der Erbe

Und du erbst das Grün

Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen

Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt

Du bist der Alte, dem die Haare

Gerüchte gehn, die dich vermuten

Alle, welche dich suchen, versuchen dich

Wenn etwas mir vom Fenster fällt

Du meinst die Demut

In diesem Dorfe steht das letzte Haus

Manchmal steht einer auf beim Abendbrot

Nachtwächter ist der Wahnsinn

Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr?

Du bist die Zukunft, großes Morgenrot

Du bist das Kloster zu den Wundenmalen

Die Könige der Welt sind alt

Alles wird wieder groß sein und gewaltig

Auch du wirst groß sein. Größer noch, als einer

Es wird nicht Ruhe in den Häusern

So möcht ich zu dir gehn

Du Gott, ich möchte viele Pilger sein

Bei Tag bist du das Hörensagen

Ein Pilgermorgen. Von den harten Lagern

Jetzt reifen schon die roten Berberitzen

Du mußt nicht bangen, Gott

In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz



_Drittes Buch:_ Das Buch von der Armut und vom Tode (1903)


Vielleicht, daß ich durch schwere Berge gehe

Du Berg, der blieb, da die Gebirge kamen

Mach mich zum Wächter deiner Weiten

Denn Herr, die großen Städte sind

Da leben Menschen, weißerblühte, blasse

O Herr, gib jedem seinen eignen Tod

Denn wir sind nur die Schale und das Blatt

Herr: wir sind ärmer denn die armen Tiere

Mach Einen herrlich, Herr, mach Einen groß

Das letzte Zeichen laß an uns geschehen

Ich will ihn preisen

Und gib, daß beide Stimmen mich begleiten

Die großen Städte sind nicht wahr; sie täuschen

Denn Gärten sind, – von Königen gebaut

Dann sah ich auch Paläste, welche leben

Sie sind es nicht. Sie sind nur die Nicht-Reichen

Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen

Du bist der Arme, du der Mittellose

Du, der du weißt und dessen weites Wissen

Betrachte sie und sieh, was ihnen gliche

Sie sind so still; fast gleichen sie den Dingen

Und sieh, wie ihrer Füße Leben geht

Und ihre Hände sind wie die von Frauen

Ihr Mund ist wie der Mund an einer Büste

Und ihre Stimme kommt von ferneher

Und wenn sie schlafen, sind sie wie an alles

Und sieh: ihr Leib ist wie ein Bräutigam

Denn sieh: sie werden leben und sich mehren

Nur nimm sie wieder aus der Städte Schuld

Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein 

Die Städte aber wollen nur das Ihre

Und deine Armen leiden unter diesen

O wo ist der, der aus Besitz und Zeit

O wo ist er, der Klare, hingeklungen?



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